ESTHER PERBANDT | Antipolare Avantgarde aus Berlin

Von Alexandra Wendorf

Mode und Theater liegen nicht weit auseinander. Inszenierung und das Eintauchen in eine andere Welt, (Ver)Kleidung, Rollenspiel und Darstellung – es gibt viele Parallelen. Für Esther Perbandt ist diese Verbindung wesentlich und so stellte sie schon Kollektionen im Großen Haus der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz vor: Inspiriert vom Berlin der 20er und 30er Jahre, erinnerten ihre Bühnebilder an eine schwarz-weiße Filmwelt vergangener Tage. In Kontrast gesetzt zu einer zeitlosen Moderne, die die Absurdität von Funktionalität und Kontroversen aufzeigt.

Esther Perbandt ist Künstlerin, Designerin, Visionärin, Performerin und Entertainerin. Geboren und aufgewachsen in Berlin, abgehärtet in Moskau und geschliffen in Paris. Sie steht für lässig-feminine Androgynität, eine autarke Persönlichkeit und hat sich vor allem mit ihren außergewöhnlichen Showinszenierungen im In- und Ausland einen Namen gemacht. Hinter ihrem seit 13 Jahren bestehenden Label „esther perbandt“ steht die Vision einer modernen Persönlichkeit, unabhängig und selbstbewußt. Fast immer sind ihre Kollektionen in schwarz gehalten mit wenigen weißen oder farbigen Akzenten. Oftmals erscheinen ihre Modelle so als wären sie als Arbeitskleidung bestimmt, und unterstreichen so die Idee, dass Kleidung wie eine Schutzhülle wirkt. „Man kann damit in den Krieg ziehen; und wenn es der eigene innere Krieg ist. Es macht dich stark.“ Wir trafen Esther Perbandt in ihrem Ladengeschäft in Berlin-Mitte.

Esther Perbandt, die Inszenierung einer Ihrer Shows ähnelte Kinoszenen der 20er und 30er Jahre, auch fühlt man sich an Bilder des Dadaismus oder des Expressionismus, wie etwa von George Grosz erinnert. Sammeln Sie solche Inspirationsquellen?
Ich bin Eklektiker im positiven Sinne. Ich nehme Dinge auf, die mir gefallen und adaptiere sie zu meinem eigenen Stil. Was ich brauche, ist ein Überthema, einen gebauten Horizont, meinen Himmel. Von da fängt es an, selber zu laufen und ob am Ende noch jemand sagt, das erinnert mich aber an … ist mir ziemlich schnuppe (und lacht).

Eine Inszenierung kann sowohl positiv als auch negativ verstanden werden, wenn man sie auf Menschen, Personen bezieht. Läuft man nicht auch Gefahr, sich zu maskieren, andere zu manipulieren? Oder ist das gerade ein Spiel, das Mode so faszinierend macht?
Wenn ich die schrecklichen Nachrichten aus der ganzen Welt höre, frage ich mich selber, warum zur Hölle icheigentlich „Mode“ mache und nicht irgendetwas Nützlicheres. Das lässt mich manchmal zweifeln. Aber dann sage ich mir, dass es auf der Welt auch immer schöne Dinge geben muss, die einen andere Dinge vergessen lassen und einen zum Träumen einladen. Und das kann ich vielleicht ganz gut. Andere Menschen können anderes gut und das sollte wertfrei bleiben. Und etwas Schönes dann auch noch schön zu inszenieren, macht für mich das Paket rund und homogen. Es ist der Moment eines Traumes, der dann später Teil der Realität und des Alltags wird.

Was bedeutet der Begriff Haltung für Sie? Bezogen auf den Körper aber auch auf die „innere“ Haltung eines Menschen.
Ist es nicht so, dass wir uns zu Menschen hingezogen fühlen, die anmutig sind, die eine schöne aufrechte Haltung haben? Sie strahlen eher Stärke aus, man schaut sie gerne an, zumindest ich. Und ja, automatisch denke ich an die innere Haltung. Irgend etwas, irgendjemand innen drin muss das doch „halten“. Ich glaube nicht, dass man das trennen kann.

Kann dann Kleidung auf die innere wie äußere Haltung eine Wirkung haben?
Kleidung kann stark machen und schützen. Es ist eine Art Panzer. Sie kann Selbstbewußtsein geben. Ich bin mir sicher, dass sie Menschen um mindestens einen Zentimeter wachsen lassen kann. Ich beobachte das seit fast neun Jahren in meinem eigenen Laden. Ich kenne die Meinungen einiger, die sagen, dass Bekleidung aber auch übertüncht, verdeckt, das Wahre versteckt. Ich finde das nicht, zumindest meistens nicht. Ich finde Bekleidung kann auch kleine Pflänzchen herauskitzeln, die man sich manchmal nicht traut, zu gießen. Diesen Job übernimmt dann die Kleidung.

Die Shows beginnen jedes Jahr aufs Neue. Mit großer Kraftanstrengung wird jede Kollektion aus der Taufe gehoben. Wie kann man dem Druck der Öffentlichkeit einerseits entgehen, andererseits daraus auch seine Kraft und Inspiration schöpfen? Jedes Jahr zwei Kollektionen … nunmehr 13 Jahre lang …
Aus dem Druck der Öffentlichkeit schöpfe ich ganz bestimmt keine Kreativität. Er ist wie eine wilde Bestie. Ich bin sehr sensibel und verletzlich. Zwei Mal im Jahr stülpt man sich einmal komplett von innen nach außen und lässt einen mitten auf dem Asphalt stehen, wie ein gehäutetes Kaninchen. Aber genau dafür trage ich ja meine Schutzkleidung, die manchmal abweisender wirkt als nötig. Der Druck und die Leistungsorientiertheit, der Perfektionismus, den ich mir selber aufbürde, ist schon hart genug. Jedesmal in der Endphase einer Kollektion frage ich mich, warum ich das überhaupt mache. Ich leide wie ein Hund. Dann ist die Show, ist alles fertig und alles geht plötzlich runter wie Trüffelbutter. Jedem seine Droge. Das hat die Natur fantastisch eingerichtet. Man vergisst den Schmerz sofort. Genau wie bei gebärenden Müttern. Sonst würde keine einzige Frau ein zweites Kind freiwillig bekommen und kein Designer eine weitere Kollektion machen.

Mit Kleidung gibt ja jeder, bewusst oder unbewusst, Signale, Zeichen und Informationen über sich selbst preis. Was sagt wohl jemand, der „esther perbandt“ trägt, über sich aus?
Das ist in der Tat sehr unterschiedlich; das habe ich in neun Jahren Laden-Erfahrung gelernt. Wer meine Kleidung trägt, hat aber zumindest ein klares Bewusstsein davon, was man trägt. Allen ist gemein, dass sie andere mit ihrer Kleidung neugierig machen, mehr erfahren zu wollen. Sie laden den Betrachter ein, genauer hinzuschauen. Zwei Mal, drei Mal, mehrmals. Man begreift es nicht sofort. Irgendwie sind die Spielregeln anders. Die Codes sind unscharf, verschwommen. Es gibt nicht den Code: kurzer Rock und enges tiefausgeschnittenes Oberteil gleich sexy Biene. So etwas versteht man innerhalb von Sekunden. Ein Blick reicht, entweder, man ist interessiert und pirscht sich an, oder man wendet sich ab. Bei „esther perbandt“ muss oft das Gehirn einen Gang höher geschaltet werden, man fragt, was ist das, wie funktioniert das und warum trägt diese Person das. Was mag wohl die „innere Haltung“ dieser Person sein. Und wie gesagt, mitunter kann das ganz schön neugierig machen auf das, was sich darunter verbirgt.

Ihre Mode hat militärische Anklänge. Was fasziniert Sie daran? Militär bzw. Uniformen lassen Individualität ja eher nicht zu; Ihre Entwürfe sind aber durchaus individualistisch. Geben derartige Entwürfe Halt im Sinne von Strenge und Stärke oder findet sich hier die Möglichkeit, typische Gender-Merkmale aufzuheben?

Uniformen haben mich schon immer fasziniert. Sie üben einen erotischen Reiz aus, Strenge und Kraft. Und ja, sie geben einem fast automatisch Haltung. Sie können einschüchtern. Sollen sie ja auch im ursprünglichen Sinne. Sie sind für Sieger gemacht. Das hat eigentlich nichts mit Gender-Auflösung zu tun. Was mich für meine Kollektionen daran reizt, ist, die „Haltung“, die Stärke und Teilelemente herauszufiltern, das Ganze aufzubrechen und in eine Alltagsuniform zu verwandeln. Wobei Uniform hier das falsche Wort ist, denn es geht ja gerade nicht darum, zu „uniformieren“. Vielleicht kann man es so sagen: Ich zerlege Uniformen in viele kleine Bestandteile und jeder kann sich seine persönliche „Uniform“ daraus zusammenstellen.

Ihre Mode wirkt sehr urban und kompromisslos. Ich kann mir Ihre Entwürfe nur schwer in einer ländlichen oder kleinstädtischen Umgebung vorstellen. Braucht Mode generell eine zu ihr passende Umgebung, eine gesellschaftlich-kulturelle Struktur? Inwieweit bedingen sich diese Dinge einander? Entsteht das eine aus dem anderen?
In gewisser Weise stimmt das schon. Aber es kommt auch sehr auf das Styling an. Man kann „esther perbandt“ auch ohne weiteres in einer ländlichen oder kleinstädtischen Umgebung tragen. Aber vielleicht kann es dort eher down gedressed sein. Wohingegen man in einer Großstadt richtig Gas geben kann. Ich war vor einem Jahr mal in Düsseldorf, das ich nicht als Kleinstadt bezeichnen würde. Als ich bei der Ankunft am Bahnhof in ein Taxi steigen wollte, sagte der Taxifahrer zu mir: „Sie sind wohl zum Karneval hier, oder?“ Ich war so empört, dass ich mir fast ein anderes Taxi gesucht hätte. Aber es hat mir einfach nur wieder vor Augen geführt, dass das, was für mich eine solche Selbstverständlichkeit ist, für andere absolut außerirdisch sein kann.

Während der Fashion Week in L.A. hat Vera von Lehndorff in einem gemeinsamen Interview mit Ihnen einmal gesagt (F.A.Z. vom 14.6.2016): „Wir haben heute Sehnsucht nach dem Schöpferischen und Persönlichen.“ Trifft das zu, auch wenn wir doch zugleich eine Entindividualisierung in unserer Gesellschaft beobachten können? Glauben Sie, dass diese Sehnsucht wirklich existiert?
Hier muss ich eigentlich noch mal auf meine zweifelnden Gedanken verweisen, dass ich mich manchmal frage, warum ich in diesen schlimmen Zeiten „Mode“ mache. Mit Angst müssen wir alle leben. Aber es ist die Frage wie jeder damit umgeht und das fällt sehr unterschiedlich aus. Vielleicht ist es genau das, dass wir uns heute umso mehr nach etwas Schöpferischem sehnen, etwas Neuem, Frischem. Weil es nach Wiederanfang und Heilung riecht. Aber wenn ich so nachdenke, scheint es sich aufzuteilen: In diejenigen, die ihre Ängste beruhigen, indem sie möglichst leise und ohne Widerspruch mit dem Strom fließen, und die anderen, die sich erst recht der „Schöpfung“ bedienen.

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