Text: Alexandra Wendorf
Mit der Überblicksschau „Netzwerk Paris. Abstraction-Création 1931–1937 rückt das Arp Museum Bahnhof Rolandseck eine der wichtigsten Künstlervereinigungen der Klassischen Moderne wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Rund 70 Werke von Ikonen wie Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Piet Mondrian, Alexander Calder, Robert Delaunay oder Barbara Hepworth zeigen die enorme Vielfalt der Abstraktion in den 1930er-Jahren – und die politische Kraft, die von ihr ausging.
Die Gruppe Abstraction-Création wurde 1931 in Meudon bei Paris auf Initiative von Theo van Doesburg, Auguste Herbin, Jean Hélion, Georges Vantongerloo und Hans Arp gegründet. Ihr Ziel war es, der ungegenständlichen Kunst eine Plattform zu geben, die zunehmend von Museen und dem Kunstmarkt marginalisiert wurde.
Paris war zu dieser Zeit das unbestrittene Zentrum der internationalen Avantgarde, ein Schmelztiegel für Künstler:innen aus ganz Europa und Übersee. Hier kreuzten sich die Strömungen zwischen organischer Abstraktion – inspiriert von Naturformen, wie bei Hans und Sophie Taeuber-Arp – und geometrischen Konstruktionen niederländischer und russischer Provenienz, etwa von Piet Mondrian oder Georges Vantongerloo. Anstatt Spannungen zu vertiefen, wollte die Gruppe bewusst Brücken bauen und eine internationale „Weltsprache der Abstraktion” etablieren.
Kunst als Bekenntnis zur Freiheit
Die Gründung der Gruppe fiel in eine Zeit wachsender politischer Spannungen: die Weltwirtschaftskrise, das Erstarken autoritärer Regime in Italien, Deutschland und Spanien. Während die Nationalsozialisten bereits ab 1933 abstrakte Kunst als „entartet“ verfolgten, antwortete Abstraction-Création mit einer klaren Haltung. Abstraktion war gleichbedeutend mit geistiger und künstlerischer Freiheit.
Das Netzwerk wuchs rasch auf über 400 Mitglieder aus fast 20 Ländern, von den USA bis in die Sowjetunion, an. Neben Malerei und Skulptur spielten auch Architektur, Design, Fotografie und Typografie eine Rolle. Ab 1932 erschienen die jährlich herausgegebenen „Cahiers de Abstraction-Création“, die Manifeste, Essays und Abbildungen versammelten – ein Publikationsorgan, das der Bewegung internationales Gewicht gab und ihre Ideen weit über Paris hinaus transportierte.
Das Arp Museum bringt die stilistische Vielfalt eindrucksvoll zur Geltung
Piet Mondrians streng rhythmisierte Kompositionen aus Linien und Farbflächen sind Musterbeispiele neoplastizistischer Klarheit. Marlow Moss, eine in England weitgehend vergessene Pionierin, entwickelte dieses Raster-Credo weiter und behauptete sich als wichtige weibliche Stimme in einer von Männern dominierten Szene. Hans Arps biomorphe Skulpturen – etwa Menschliche Konkretion – wirken wie organisch gewachsene Formen und setzen einen Kontrapunkt zur strengen Geometrie. Mainie Jellt, eine irische Wegbereiterin der Abstraktion, zeigt mit ihren wirbelnden, beinah spirituellen Farbkompositionen den utopischen Aufbruchswillen dieser Bewegung. Zu guter Letzt belegen László Moholy-Nagys Fotogramme, dass Abstraction-Création nicht auf Malerei beschränkt war, sondern medienübergreifend experimentierte.
Abstraktion als Weltsprache und Dialog mit der Gegenwart
Kuratorin Astrid von Asten ergänzt die historische Präsentation durch sieben zeitgenössische Positionen, darunter Werke von Rana Begum, Daniel Buren und Imi Knoebel. Besonders eindrucksvoll ist Begums transluzentes Netz aus buntem Nylon, das sich über einen Museumsflur spannt und als Sinnbild für die Verknüpfung von Linien, Flächen und Räumen dient. So zeigt die Ausstellung eindringlich, dass die Ideen von Abstraction-Création bis heute in der Gegenwartskunst nachwirken. Deutlich wird auch, dass der Kunst die Rolle eines Garanten für die Freiheit des Denkens zugeschrieben wird – eine Vorstellung, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat.
Die letzte große Werkschau der Gruppe fand in den 1970er-Jahren statt, unter anderem im MoMA in New York und im Musée d’Art Moderne in Paris. Mit der Ausstellung in Remagen wird diese entscheidende Bewegung erstmals für ein deutsches Publikum in dieser Breite sichtbar. Damit schließt das Arp Museum nicht nur eine Forschungslücke, sondern eröffnet zugleich einen hochaktuellen Diskurs: Welche Rolle spielt künstlerische Freiheit in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche?
Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierten viele Mitglieder von Abstraction-Création zu zentralen Protagonisten der Moderne. Künstler wie Ben Nicholson, Barbara Hepworth oder Jean Arp fanden weltweit Anerkennung, während andere emigrierten und zur Herausbildung der New Yorker Schule beitrugen. Abstrakte Kunst etablierte sich als Weltsprache, die in Ost und West verstanden wurde – ein bewusstes Gegenmodell zu Spaltung, Nationalismus und Propaganda.
Netzwerk Paris. Abstraction-Création 1931–1937, Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen, die Ausstellung läuft noch bis zum 11. Januar 2026 | Weitere Infos: hier.
Titelbild: Mainie Jellett, A Composition, 1930er-Jahre, National Gallery of Ireland Collection, Dublin; Foto: National Gallery of Ireland