Text: Arthur Bach
Die Ausstellung „Göttlich! Meisterwerke der italienischen Renaissance” beginnt schon mit einer kleinen Elevation – im wahrsten Sinne des Wortes. Wer das Diözesanmuseum Freising besuchen möchte, fährt mit der neuen, barrierefreien Dombergbahn direkt aus der Innenstadt den Domberg hinauf. Die Standseilbahn überwindet in weniger als eineinhalb Minuten einen Höhenunterschied von 22 Metern und bringt die Gäste kostenfrei bis vor die Türen des Museums. Dieser Auftakt macht schon den Weg zum Ausstellungsort zu einem Erlebnis und stimmt inhaltlich auf das ein, was die neue Ausstellung zeigt.
Denn im Museum angekommen, taucht man unmittelbar in die Renaissance ein: Eine rund fünfminütige Videoinstallation entfaltet die Hauptlinien von Dantes „Göttlicher Komödie“ – Hölle, Fegefeuer und Paradies – und stimmt mit suggestiven Bildern und eindringlichem Sound auf die großen existenziellen und künstlerischen Fragen der Epoche ein. Damit gelingt ein atmosphärisch dichter Einstieg, der auch Menschen ohne christlichen Hintergrund für die Themen der Ausstellung öffnet.
Die Wechselausstellung präsentiert 65 Meisterwerke der italienischen Renaissance, darunter Werke von Botticelli, Bellini, Lippi und Andrea Mantegna, die aus über zwei Dutzend der bedeutendsten Museen Italiens zusammengetragen wurden. Als Höhepunkt gilt eine fast 600 Jahre alte Originalhandschrift von Dantes „Göttlicher Komödie” aus der Vatikanbibliothek.
Neben den großen Fragen von Himmel und Erde veranschaulichen die Exponate auch die soziale Realität der Epoche: Handschriftliche Schecks, Kaufmannsbücher oder das Porträt des Kanzlers Marcantonio Luciani zeigen, wie eng das Leben damals mit Geld, Glauben und Moral verwoben war – Themen, die in veränderter Form bis heute nachwirken.
Mahnungen zu einem bewussteren Leben
Ein besonderer, tief bewegender Schwerpunkt liegt auf Andrea Mantegnas „Toter Christus“. Das berühmte Gemälde konfrontiert die Besucherinnen und Besucher mit der radikalen Endlichkeit des Menschen. In drastischer Verkürzung liegt Jesus auf einer Steinplatte; das virtuose Spiel mit Perspektive und Raum rückt Tod, Körperlichkeit und Vergänglichkeit in den Mittelpunkt. Die Trauernden am Rand spiegeln Ohnmacht und Schmerz wider, während die unübersehbare Präsenz des Leichnams an die Vergänglichkeit allen Lebens erinnert.
Gerade in der Renaissance gewann der Memento-Mori-Gedanke an Schärfe: „Gedenke des Todes!“ war keine Mahnung zum Verzicht, sondern eine Einladung zu einem bewussteren Leben. Die Endlichkeit wurde nicht als Defizit, sondern als Ansporn begriffen: Wer sich seiner Sterblichkeit stellt, lebt intensiver, gestaltet verantwortungsvoller und begegnet seinen Mitmenschen sowie dem Göttlichen mit neuer Ernsthaftigkeit. Mantegnas Bild verdichtet diese Haltung exemplarisch: Kunst als Spiegel des Daseins und Impuls für eine Lebensethik, die bis heute relevant ist.
Die Werke der Renaissance entfalten somit nicht nur ästhetische Strahlkraft, sondern regen auch zur Reflexion über unsere eigene Gegenwart an. Genau diesen Bogen schlägt Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, im Vorwort des Ausstellungskatalogs. Wie schon damals stehe auch unsere heutige Gesellschaft „vor einem Epochenwandel, der unser Wissen, unsere Werte und unsere Gesellschaft vor nie dagewesene Veränderungen stellt”. Marx erinnert daran, dass die Renaissance von der Wiederentdeckung der Antike, der Erfindung des Buchdrucks, der Zentralperspektive in der Kunst und dem Entstehen einer kapitalistischen Ordnung geprägt war. Heute hingegen sind es die digitale Vernetzung, eine Flut an Bildern und Emotionen sowie die künstliche Intelligenz, die eine „massive Transformation“ vorantreiben – bis hin zur Gefahr eines Bruchs mit dem, was seit der Renaissance das kulturelle Fundament Europas ausmacht: humanistische Bildung, überlieferte Werte und Prinzipien, Ideale, Tugenden und ein christlich geprägtes Menschenbild.
So gelingt der Ausstellung „Göttlich!“ weit mehr als die Präsentation spektakulärer Originale: Sie verwebt das ästhetische Erlebnis mit einer tiefgründigen Auseinandersetzung über die zentralen Fragen menschlicher Existenz – und lässt Besucherinnen und Besucher nachdenklich, bewegt und inspiriert zurück.
GÖTTLICH! Meisterwerke der Italienischen Renaissance
Diözesanmuseum Freising, Domberg 21, 85354 Freising, www.dimu-freising.de
Das Museum ist Dienstag bis Sonntag von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Montags geschlossen. Weitere Informationen zur Ausstellung: hier.
Titelbild: Maria mit Kind (Madonna mit dem Buch), Sandro Botticelli (Florenz, 1445 – 1510), Florenz, 1480/1481. Tempera auf Holz, 58 x 39,6 cm. Mailand, Museo Poldi Pezzoli. © Fondazione Artistica Poldi Pezzoli