Text: Arthur Bach
Design und Kunsthandwerk stehen zunehmend im Zeichen einer doppelten Bewegung: Einerseits ist Künstliche Intelligenz längst in den Ateliers angekommen und generiert mit verblüffender Geschwindigkeit neue Muster, Formen und Farbwelten. Andererseits erleben handwerkliche Techniken eine Renaissance. Diese Verbindung verspricht ungeahnte Möglichkeiten: Algorithmen interpretieren uralte Webmuster neu und die Robotik ebnet den Weg zu bisher unmachbaren Formen.
Doch so faszinierend diese Symbiose klingt, sie birgt auch Spannungen. Wo endet das Handwerk, wenn die Maschine den Entwurf vorgibt? Wird die menschliche Handschrift zum bloßen Ausführungsdetail oder eröffnet sich eine neue Freiheit, in der Hand und Algorithmus gleichberechtigt zusammenarbeiten? Eines scheint gewiss: Aufhalten lässt sich diese Entwicklung nicht. Die Frage ist, wie wir sie gestalten – ob KI das Handwerk verdrängt oder ob gerade in der Verbindung von Tradition und Technologie jene neue, unverwechselbare Sprache entsteht, die das Design des 21. Jahrhunderts prägen wird.
Tradition im Dialog mit der Maschine
Die Praxis zeigt, wie vielfältig diese Sprache bereits klingt: In Kyoto etwa experimentieren Nishijin Ori-Weber mit KI-generierten Mustern. Der Computer schlägt Formen und Farbkombinationen vor, die so nie aus menschlicher Erfahrung heraus entstanden wären. Die letzte Entscheidung liegt jedoch bei den Handwerkern, die abwägen, was sich tatsächlich in Seide verweben lässt – ein Dialog zwischen jahrhundertealter Technik und digitalem Zufall. Das Pariser Studio Trame geht noch einen Schritt weiter: Generative Algorithmen entwerfen Strukturen, die anschließend in den Werkstätten von Marrakesch, Venedig oder Florenz von Hand umgesetzt werden. Ein globales Netzwerk aus Code und Handwerk zeigt, wie digitale Visionen durch menschliche Arbeit erst eine Seele bekommen. Auch im japanischen Craft-x-Tech-Projekt mit Studio SWINE zeigt sich dieses Spannungsfeld. Dort verbinden sich lackierte Holztruhen der Sendai-Tansu-Meister mit algorithmisch inspirierten Entwürfen zu Objekten, die Vergangenheit und Zukunft zugleich verkörpern. Der britische Designer Ross Lovegrove wiederum betrachtet KI und Robotik ausdrücklich als kreative Partner. Seine biomorphen Entwürfe entstehen in digitalen Simulationen, werden von Maschinen gefräst und schließlich von Hand vollendet. Das Endprodukt trägt sowohl die Präzision der Technik als auch die Handschrift des Künstlers – ein fast organisches Zusammenspiel. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Verbindung von Hightech und Handwerk ist der Pavillon „Steampunk“ in Tallinn. Entworfen von Soomeen Hahm Design, Igor Pantic und dem Studio Fologram entstand eine geschwungene, skulpturale Struktur, die modernste digitale Entwurfstechnologien mit klassischen Holzverarbeitungstechniken kombiniert. Mithilfe digitaler Modelle und Augmented-Reality-gestützter Bauanleitungen konnten die komplex gebogenen Holzelemente präzise vor Ort gefertigt und montiert werden – ein Prozess, der menschliche Handarbeit mit maschineller Präzision vereint. „Steampunk” steht somit exemplarisch für eine Zukunft, in der Technologie das Handwerk nicht ersetzt, sondern erweitert und in neue Dimensionen führt. Und schließlich zeigt auch die Craft Residency des Fashion Council Germany, wie ernst das Thema genommen wird. Junge Designerinnen und Designer werden bewusst in traditionelle Werkstätten geschickt, um alte Techniken neu zu interpretieren – im Bewusstsein, dass handwerkliche Authentizität auch in einer KI-geprägten Welt unverzichtbar bleibt.
Zwischen Aufbruch und Verlust
Die Fallbeispiele verdeutlichen: Die Verbindung von Handwerk und KI ist kein Randphänomen mehr, sondern Ausdruck eines grundlegenden Wandels in der Gestaltung. Sie birgt erhebliche Vorteile. KI ermöglicht Entwürfe, die bislang technisch oder ästhetisch unvorstellbar waren: komplexe Geometrien, ungewöhnliche Farbwelten und eine nahezu unendliche Variation von Mustern. Für Designerinnen und Designer bedeutet das eine enorme Beschleunigung kreativer Prozesse und für das Handwerk eröffnet es die Chance, sich neu zu positionieren – als Träger von Authentizität in einer Welt, in der digitale Perfektion allgegenwärtig ist.
Doch derselbe Fortschritt hat eine Kehrseite. Wenn KI den Entwurf liefert und der Mensch nur noch ausführt, droht die eigentliche Kunstfertigkeit zur bloßen Dienstleistung zu werden. Der „Geist der Hand“ – das Unvollkommene, Zufällige, Persönliche – könnte von generischen Outputs verdrängt werden, die sich weltweit replizieren lassen. Auch ökonomisch stellt sich die Frage, ob das Handwerk langfristig noch konkurrenzfähig bleibt, wenn KI-gestützte Prozesse schneller und günstiger produzieren.
Gleichzeitig gibt es ethische und kulturpolitische Bedenken. Wem gehört ein Muster, das von einer KI vorgeschlagen wurde, die auf Millionen menschlicher Entwürfe trainiert ist? Wie lassen sich Urheberrechte, kulturelles Erbe oder geistiges Eigentum schützen? Und nicht zuletzt: Wollen wir wirklich, dass auch im Handwerk dieselbe Austauschbarkeit Einzug hält, wie wir sie aus der digitalen Bildwelt längst kennen?
Aktuelle Diskussionen: Begeisterung und Skepsis
Dass diese Fragen nicht nur im Feuilleton verhandelt werden, zeigen zahlreiche Debatten. Auf Veranstaltungen wie „Zukunft im Handwerk – KI praktisch nutzen“ in Mannheim oder dem Kongress ZUKUNFT HANDWERK 2025 in München ging es nicht mehr nur um Visionen, sondern um konkrete Anwendungen. Dazu gehören KI-gestützte Produktionsplanung, digitale Kundeninteraktion oder neue Geschäftsmodelle als Antwort auf den Fachkräftemangel.
Auch in der Designwelt spiegelt die von Figma durchgeführte Studie „State of the Designer 2025“ diese Ambivalenz wider. Figma ist ein US-amerikanisches Softwareunternehmen, das eine webbasierte Designplattform anbietet und sich als Plattform für die globale Design-Community versteht. Deshalb veröffentlicht Figma regelmäßig Reports wie den „State of the Designer“, um Trends, Arbeitsrealitäten und Zukunftserwartungen der Branche sichtbar zu machen. In der aktuellen Studie erwarten rund 80 % der Befragten Effizienzgewinne, doch nur 16 % sehen KI tatsächlich schon als transformierende Kraft in ihrer Teamarbeit. Zugleich berichten 41 % von einer Verschlechterung ihrer beruflichen Situation durch digitale Tools wie Midjourney oder DALL·E – ein deutlicher Hinweis auf Ängste vor Verdrängung und Austauschbarkeit.
In Deutschland prägt zudem der Digitalexperte Thorsten Moortz die Debatte. Mit strategischen KI-Lösungen für Handwerksbetriebe und der Kampagne #lustaufhandwerk setzt er Akzente, die das Handwerk als modernen, vielfältigen Berufszweig sichtbar machen. Parallel dazu zeigt die Forschung, beispielsweise das Projekt „Augmented Carpentry“, dass digitale Assistenzsysteme bei klassischen Tätigkeiten, wie dem Sägen oder Bohren, bereits heute die handwerkliche Präzision steigern können.
Diese Entwicklungen machen deutlich, dass nicht die Frage lautet, ob KI das Handwerk verändert, sondern wie. Die Technologie eröffnet Horizonte und bedroht zugleich gewachsene Strukturen. Sie kann Muster hervorbringen, die jahrhundertealte Traditionen beleben – oder sie in ihrer Eigenheit verwässern.
Die Aufgabe unserer Zeit besteht darin, den Spagat zwischen Tradition und Innovation bewusst zu gestalten, ohne das Menschliche, das Handwerkliche und die persönliche Spur im Werk zu opfern, sondern indem wir sie im Zusammenspiel mit neuen Technologien stärken. Denn letztlich entscheidet unsere Gestaltung mehr über die Zukunft des Designs als jede Maschine.
Links zu den im Text aufgeführten Projekten, Institutionen und Studien:
- Nishijin Ori-Weberei, Kyoto (Japan): www.nishijin.or.jp
- Studio Trame, Paris (Frankreich): www.tramestudio.com
- Studio SWINE – Craft x Tech Project (Japan/England): www.studioswine.com
- Ross Lovegrove (England): www.rosslovegrove.com
- Fashion Council Germany – Craft Residency (Deutschland/England): www.fashioncouncilgermany.org
- Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald (Deutschland), Veranstalter von „Zukunft im Handwerk – KI praktisch nutzen, www.hwk-mannheim.de
- Kongress „Zukunft Handwerk“ (München, Deutschland): www.zukunfthandwerk.com
- Thorsten Moortz – Digitalexperte für Handwerk (Deutschland), Initiator von #lustaufhandwerk: www.handwerk.live
- Studie „State of the Designer 2025“, Sigma: www.figma.com
Titelbild: Desert Threads tapestry series, Foto © TRAME Paris