Text: Alexandra Wendorf
Wie gestalten wir Städte, die auf eine Zukunft antworten, die bereits begonnen hat – mit brennenden Wäldern, leer laufenden Rohstoffen und einer sozialen Polarisierung, die auch den öffentlichen Raum betrifft? Die Ausstellung WE/TRANS/FORM. Zur Zukunft des Bauens in der Bundeskunsthalle Bonn stellt diese Frage nicht nur theoretisch. Sie zeigt, was gebaut werden kann, wenn Nachhaltigkeit nicht als Zusatz, sondern als Fundament gedacht wird.
Zement ist das unsichtbare Rückgrat der Moderne – und eines ihrer größten Probleme. Seine Herstellung produziert jährlich rund 3 Milliarden Tonnen CO₂, mehr als alle globalen Flugreisen zusammen. Die Baubranche insgesamt verschlingt fast die Hälfte aller Rohstoffe in Europa und verursacht etwa 40 Prozent der CO₂-Emissionen. Doch kaum ein Industriezweig agiert träger, wenn es um systemischen Wandel geht. Noch immer gilt der Neubau als Norm – und der Altbau als Problem. Dabei ist jeder Abriss eine Verschwendung gespeicherter Energie und grauer Emissionen.
Zwar wird viel von „Zirkularität“ gesprochen, doch in der Praxis landen die meisten Gebäude nach ihrer Nutzung als Mischschutt auf der Deponie. Die Trennung der Materialien – essenziell für echtes Recycling – scheitert oft schon an verklebten Dämmstoffen oder fest vergossenen Bauteilen. Eines der spannendsten Gegenmodelle in der Ausstellung: NEST UMAR, ein experimentelles Wohnmodul des Karlsruher KIT. Hier ist alles lösbar, wiederverwendbar oder kompostierbar. Fenster, Leitungen, sogar Wandmodule lassen sich rückstandslos demontieren und in den Materialkreislauf zurückführen. Noch ist das Forschung – aber genau hier liegt die Zukunft.
80 Projekte, die Antworten liefern und vor allem Fragen stellen
Im Haus Glasner im Ahrtal wird Klimaanpassung zur architektonischen Leitidee: Das Erdgeschoss ist bewusst als „Opferzone“ konzipiert – nicht bewohnt, sondern technisch, leicht zu räumen, überflutbar. Darüber: die eigentlichen Wohnräume. Keine Verteidigung gegen die Natur, sondern ein kooperativer Ansatz, der Risiken nicht ignoriert, sondern integriert.
Das Rambla Climate House im spanischen Murcia zeigt eine ganz andere Seite der Klimakrise: Dürre. Hier wird jeder Tropfen gespeichert, die Architektur nutzt Verdunstung und Schatten strategisch, um das Mikroklima zu verbessern. Begrünte Innenhöfe und durchlüftete Hüllen machen das Gebäude zu einer kleinen Klimamaschine.
Im Zentrum des Museumsplatzes in Bonn wächst die Installation Vert in den Himmel: Eine filigrane Konstruktion aus Holz und Pflanzen, entworfen von AHEC, Diez Office und OMC°C. Sie bringt Schatten und Artenvielfalt zurück in versiegelte Stadträume – ein Symbol für ökologische Rückeroberung mitten im urbanen Raum.
Im Foyer der Bundeskunsthalle steht ein radikales Gegenbild zur mineralischen Stadt: Tree.ONE von EcoLogicStudio. Der künstliche Baum aus Mikroalgen zieht CO₂ aus der Luft, produziert Biomasse und fungiert als lebendige Klimaskulptur. Es ist ein visionärer Hybride aus Natur, Technologie und Ästhetik – die Stadt als atmender Organismus.
Weitere Projekte zeigen, wie Bestand transformiert statt ersetzt werden kann: Das isländische Studio Bua etwa hat eine traditionelle Scheune in eine moderne Wohn- und Arbeitsstruktur verwandelt – unter Beibehaltung des Materials, der Hülle und sogar der baulichen Unvollkommenheit. Das Büro 51N4E hat in Brüssel das ehemalige World Trade Center zu einem lebendigen Quartier umgebaut – ein Lehrstück in Kreislaufwirtschaft und städtischer Wiederaneignung.
Und mit dem Hybrid Flachs Pavillon der Universität Stuttgart wird sichtbar, was passiert, wenn digitale Werkzeuge auf nachwachsende Rohstoffe treffen: Ein temporäres Bauwerk aus geflochtenem Naturfasermaterial, komplett biologisch abbaubar und gleichzeitig technologisch präzise geplant – gebaut, um wieder zu verschwinden.

Globale Szenarien: Hightech, Kontrolle und Widerspruch
Abseits Europas wird ebenfalls an der Stadt der Zukunft gebaut – mit sehr unterschiedlichen Werten. In Saudi-Arabien entsteht NEOM, eine 170 Kilometer lange, lineare Stadt, vollständig digital gesteuert. The Line soll klimaneutral und völlig autofrei sein. Der Anspruch: ein „Zukunftslabor“ für die Menschheit. in Wahrheit aber könnte es eine Beton gewordene Dystopie sein. Hier ist Nachhaltigkeit nicht organisch gewachsen, sondern vom Reißbrett konzipiert und als Lebensform verordnet für eine gläserne Bevölkerung unter Hightech-Überwachung. Architektur als Kontrolle, nicht als Befreiung.
Singapur wiederum gilt vielen als Vorbild für smarte Urbanität. Hier findet man begrünte Hochhäuser, Regenwassermanagement und zirkuläre Systeme. Alles steht unter dem Zeichen einer hohen urbanen Lebensqualität und für erstaunlich geringe CO₂-Emissionen. Geradewegs ein Prototyp für dicht besiedelte Regionen: Der öffentliche Raum ist sicher, sauber – und hoch reguliert. Hohe soziale Kontrolle, kaum Platz für Zufall oder informelle Strukturen. Singapurs Stadtvision funktioniert – allerdings unter Bedingungen, die in offenen Gesellschaften schwer umzusetzen wären. Die urbane Zukunft kann sich nicht nur auf Effizienz und Daten stützen, sondern braucht auch Freiräume, Widersprüche, Eigensinn und Brüche. Die europäische Stadt, in ihrer Widersprüchlichkeit und Offenheit, bleibt hier ein Gegenentwurf: vielfältig, oftmals fehlerhaft, aber individuell gewachsen und lebendig.
Die Ausstellung in Bonn formuliert keine abschließenden Lösungen. Sie zeigt Möglichkeiten, verweist auf Widersprüche und fordert zum Umdenken auf. Statt Masterplänen braucht es lokale Anpassung. Statt Wachstum: Suffizienz. Statt Versiegelung: Wiederverwendung.
Doch das alles funktioniert nur, wenn wir auch unser Verständnis von Fortschritt ändern. Architektur ist kein Statussymbol mehr, sondern Werkzeug zur Krisenbewältigung. Stadtplanung wird zur sozialen Aufgabe und Technologie dient dem Gemeinwohl. Es braucht politische Entschlossenheit, baurechtliche Reformen, ökonomische Anreize – und gesellschaftlichen Willen.
WE/TRANS/FORM ist keine Utopie-Ausstellung. Sie ist realistisch, unbequem und deshalb wichtig. Denn sie zeigt: Die Werkzeuge für eine bessere gebaute Zukunft sind da. Was fehlt, ist das kollektive Bauen an einer neuen Haltung.
WE/TRANS/FORM. Zur Zukunft des Bauens
6. Juni 2025 bis 25. Januar 2026, Bundeskunsthalle Bonn, www.bundeskunsthalle.de; weitere Informationen zur Ausstellung: hier
Titelbild: Avanto Architects, Löyly, Helsinki, FL, 2011–2016 © kuvio.com