Dieter Krieg. Widerspenstige Malerei und literarische Räume

Text: Alexandra Wendorf

 Ein Spiegelei, das zur Kampfansage wird, ein Duschvorhang, der wie ein Vorhang zur Weltgeschichte fällt, und Buchstaben, die nicht erklären, sondern anstiften. Bei Dieter Krieg werden Dinge groß – nicht nur im Format, sondern auch im übertragenen Sinne. Er macht aus Alltäglichem Monumente und aus Sprache Farbe. Die kürzlich zu Ende gegangene Duisburger Ausstellung „Maler, Diebe und Gesindel“ im Museum Küppersmühle (sie lief bis zum 24. August 2025) bündelte rund siebzig solcher Zumutungen für Auge und Denken. Der begleitende Ausstellungskatalog des Wienand Verlags eröffnet über die Ausstellung hinaus einen vertieften Zugang zum späten Werk Dieter Kriegs. Er versteht dessen Malerei als sinnliche, widerspenstige Erkenntnispraxis und ermöglicht so eine intensive Auseinandersetzung mit diesem außergewöhnlichen Künstler. 

Der von Walter Smerling herausgegebene Band mit Beiträgen von Thomas A. Lange und Simon Strauß macht das zentrale Paradox dieser Malerei sichtbar: Krieg monumentalisiert vermeintlich Banales – Spiegeleier, Koteletts, Duschvorhänge, Kerzen – und kippt es zugleich ins Fragliche. Dies geschieht durch den Maßstab und das Material, durch pastose Farbaufträge und ein expressives Kolorit, vor allem aber durch die Verquickung mit Sprache. Schriftbilder, Zitate, Randnotizen: Bei Krieg sind Worte keine Legenden, sondern malerische Setzungen, Resonanzräume von Literatur und Philosophie, die von Sartre bis Handke reichen, ohne je illustrieren zu wollen. Die großzügigen, detailnahen Reproduktionen mit Sinn für Oberflächen lassen dies als Seherfahrung nachvollziehen. Anstelle einer chronologischen Abarbeitung setzt der Katalog auf thematische Verdichtung: Motivreihen und Bildgruppen werden klug gegeneinandergestellt, sodass die Frage nach der Darstellbarkeit von Dingen – Was kann ein Bild? Was darf es behaupten? – wie ein roter Faden durch das Spätwerk läuft.

Im Rückblick positioniert der Katalog Krieg treffsicher innerhalb der Neuen Figuration und macht seine Eigenständigkeit in diesem Feld deutlich: In Karlsruhe ausgebildet, fiel er früh durch konzeptuelle Brüche und performative Gesten auf. Seit den 1970er-Jahren entwickelte er eine Bildsprache, die das Hohe und das Triviale gleichwertig behandelt – das Stillleben neben dem Textfragment, das Küchenmotiv neben der Kunstgeschichte. Monumentalität und Ironie sind dabei keine Gegensätze, sondern Verfahren, mit denen Krieg die Wahrnehmung aus ihren Gewohnheiten löst. Darin liegt seine Aktualität: Diese Malerei will nicht gefallen, sie will bestehen – gegen die Zeit, gegen den Reflex, Bilder auf Botschaften zu reduzieren. 

Dieter Krieg war einer der wichtigsten Maler seiner Generation und zählt zu den prägenden Vertretern der Neuen Figuration. Diese künstlerische Gegenbewegung zur Abstraktion der Nachkriegsjahre umfasste unter anderem auch Kollegen wie Horst Antes oder Walter Stöhrer. Er wurde 1937 in Lindau geboren und wurde insbesondere durch das Studium bei HAP Grieshaber und Herbert Kitzel in Karlsruhe geprägt. Sie bestärkten ihn darin, bewusst eigene Wege zu gehen – ein Antrieb, der seine Karriere von Beginn an bestimmte. Bereits in den 1960er-Jahren sorgte Krieg mit radikal figurativer Malerei und konzeptuellen Experimenten für Aufsehen. Seine bandagierten Körperbilder und performativen Aktionen, wie das Vorlesen aller Künstlernamen aus dem Lexikon Thieme-Becker, markieren frühe Konventionsbrüche, für die er 1966 den renommierten Deutschen Preis der Jugend erhielt. Der internationale Durchbruch gelang ihm spätestens mit der Teilnahme an der Biennale in Venedig im Jahr 1978 im Deutschen Pavillon gemeinsam mit Ulrich Rückriem.

Seine Lehraufträge an der Karlsruher Akademie und später an der Städelschule in Frankfurt am Main machten ihn schließlich zu einem bedeutenden Impulsgeber für jüngere Künstlerinnen und Künstler. Ab 1978 prägte er als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie mit eigenständigem Profil ganze Generationen und verband radikale Bildsprache mit intellektueller Offenheit. Er ermutigte Künstlerinnen und Künstler, eigene Bildsprachen radikal auszutragen: groß zu denken, Material ernst zu nehmen, Risiken einzugehen und Sprache nicht neben, sondern im Bild zu verhandeln. Seine Klassen galten als Labor für eine Malerei, die sich nicht zwischen Figur und Abstraktion entscheiden will, sondern beide Pole produktiv kurzschließt. Kritikgespräche als Präzisionsarbeit, Lektüren als Zündfunken, das Scheitern als Methode – aus dieser Pädagogik erklärt sich, dass Kriegs Werk nicht nur im Museum, sondern auch in Ateliers weiterlebt. Wer seine Bilder sieht, erkennt in ihnen auch eine Haltung, die das Selbstbewusstsein vieler jüngerer Positionen im Medium Malerei mitgeprägt hat.

Die editorische Stärke des Buches besteht darin, dass die Herausgeber nun Stimmen aus Museum, Kritik und literarischer Reflexion zusammenführen: Smerling setzt kuratorisch den Rahmen, Lange schärft die Frage nach der Verführungskraft dieser Malerei – ihrer Fähigkeit, uns gegen unseren Willen mitzunehmen –, und Strauß öffnet den Resonanzraum der Literatur, in dem Kriegs Schriftgesten ihren doppelten Boden gewinnen. So entsteht ein Dialog, der die sinnliche Überwältigung der Werke nicht zudeckt, sondern begleitet. Man blättert, liest, schaut noch einmal hin – und versteht, warum bei Krieg ein Spiegelei kein Frühstück, sondern eine Weltbefragung ist.

„Dieter Krieg. Maler, Diebe und Gesindel“ ist ein klug konzipierter und bildstarker Katalog, der sich auf die späten Jahrzehnte dieses eigenwilligen Malers konzentriert und dabei die Spannung seiner Kunst – Materialwucht, Ironie und das Denken in Farbe – aufrechterhält. Wer wissen will, weshalb Kriegs Malerei heute so gegenwärtig wirkt und warum seine Lehre bis in die Ateliers der Gegenwart hineinreicht, findet hier die richtigen Bilder und Sätze – sowie genügend weiße Fläche, um sich selbst dazu ins Verhältnis zu setzen und eigenen Gedanken Raum zu geben.


Dieter Krieg, Maler, Diebe und Gesindel

herausgegeben von Walter Smerling, Beiträge von Walter Smerling, Thomas A. Lange, Simon Strauß, 144 Seiten mit 98 Abbildungen, ISBN 978-3-86832-819-6

Weitere Informationen zum Buch: hier

Informationen zur Ausstellung und dem Museum Küppersmühle: hier

Abbildung: Dieter Krieg, ohne Titel (weiße Blüte), 2001. Dieter Krieg. Acryl auf Leinwand. 175 × 225 cm. MKM Stiftung © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

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