Ein Architekt der Nachhaltigkeit. Shigeru Ban.

Text: Alexandra Wendorf

Der in Tokio geborene Architekt Shigeru Ban ist bekannt für seine Fähigkeit, traditionelle japanische Bauweisen mit modernen westlichen Einflüssen zu verbinden. Seine Arbeiten zeichnen sich durch Einfachheit, Eleganz und Nachhaltigkeit aus, was sich in zahlreichen Projekten auf der ganzen Welt widerspiegelt. Das neue Buch „Shigeru Ban: Complete Works 1985-Today“ von Philip Jodidio bietet einen umfassenden Überblick über Bans beindruckenden Bauten und Projekte. Dieser Band ist Teil der XXL-Reihe des TASCHEN Verlags, die in großformatigen, aufwendig gestalteten Monografien, das Werk bedeutender Architekten, Künstler und Designer umfassend dokumentiert. Die Wahl dieser Serie für das Porträt Shigeru Bans unterstreicht seine Bedeutung in der Architekturwelt und würdigt sowohl seine Innovationskraft als auch seine ästhetische Sensibilität.

Bereits während seiner Schulzeit wurde Ban von John Hejduk, Professor an der Cooper Union School of Architecture in New York, inspiriert, wodurch er schließlich das Studium an renommierten Architekturschulen in den USA aufnahm, bevor er 1985 sein eigenes Büro in Tokio gründete. Eine seiner frühen bahnbrechenden Entdeckungen war die Verwendung von Pappröhren als Baumaterial, die er erstmals bei einer Ausstellung über Alvar Aalto in Tokio einsetzte. Diese kostengünstigen und umweltfreundlichen Materialien prägen seine Arbeit bis heute. Die angewendeten  architektonische Strukturen folgen dabei speziellen Konstruktionsprinzipien, die Funktionalität, Stabilität und Ästhetik miteinander verbinden. Dabei setzt er oft auf einfache, aber effektive Techniken, die sowohl die Nutzung von Raum als auch die strukturelle Stabilität maximieren.

Besonders bemerkenswert ist Bans Engagement im Bereich der humanitären Architektur. Seine Notunterkünfte aus Pappröhren, die in Krisengebieten wie Ruanda, der Türkei und Japan errichtet wurden, sind schnell zu errichten, kostengünstig und nachhaltig. Für diese Leistungen erhielt Ban 2014 den Pritzker-Preis, die höchste Auszeichnung der Architekturwelt. Diese besondere Fähigkeit, Eleganz der Konstruktion mit der praktischen Umsetzung humanitärer Hilfe zu verbinden, wird auch in diesem Buch mit zahlreichen Abbildungen eindrucksvoll dokumentiert. Die von Ban verwendeten einfachen und kostengünstigen Materialien haben sich in ihrer praktischen Anwendung als erstaunlich vielseitig erwiesen, wobei die daraus resultierenden Konstruktionsprinzipien nicht nur dekorativ, sondern auch äußerst stabil sind. Sie bieten deshalb eine leichte und zugleich starke Alternative zu traditionellen Baumaterialien und sind überdies besonders umweltfreundlich. Ein weiteres Beispiel ist das „Paper House“ am Yamanaka-See, bei dem Pappröhren als tragende Elemente verwendet wurden. Diese Struktur zeigt die beeindruckende Belastbarkeit und Vielseitigkeit von Pappe und hebt Bans Fähigkeit hervor, gewöhnliche Materialien in architektonische Meisterwerke zu verwandeln.

Neben humanitären Projekten hat Ban auch bedeutende kulturelle Projekte realisiert, die seine Vision und Kreativität unter Beweis stellen. Das Nomadic Museum, das aus Schiffscontainern besteht und für verschiedene Standorte auf der ganzen Welt konzipiert wurde, ist ein herausragendes Beispiel für seine Fähigkeit, temporäre Gebäude zu entwerfen. Auf diese Weise können große Ausstellungen schnell und effizient auf- und abgebaut werden, ohne hohe Kosten oder großen Aufwand zu verursachen.

Ein weiteres Beispiel für Bans innovative Verwendung von Materialien ist die geflochtene Dachkonstruktion des Centre Pompidou-Metz. Inspiriert von einem traditionellen chinesischen Bambushut, entwickelte Ban eine komplexe, aber elegante Struktur aus Holz. Diese geflochtene Konstruktion ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch funktional, da sie das Gewicht gleichmäßig verteilt und eine stabile Dachfläche bildet. Diese Technik zeigt Bans Fähigkeit, traditionelle Handwerkskunst mit modernen architektonischen Anforderungen und japanische Leichtigkeit mit westlichen Konstruktionsmethoden zu verbinden. Trotz der Herausforderungen der europäischen Bauvorschriften, die eine schwerere Konstruktion verlangten, ist das Centre Pompidou-Metz ein Beleg für Bans eigenwilligen und zugleich auf die jeweiligen Bedürfnisse angepassten architektonischen Ansatz. Ein weiteres bemerkenswertes Projekt ist das Curtain Wall House in Tokio. Dieses Einfamilienhaus verbindet traditionelle japanische Designprinzipien mit modernen Materialien und Techniken und ist geradezu ein Paradebeispiel für Bans Fähigkeit, kulturelle Einflüsse aus Ost und West in der Architektur zu vereinen.

Ein weiteres Merkmal von Bans Arbeit ist seine Bescheidenheit und sein sparsamer Umgang mit Ressourcen. Nachhaltigkeit ist ein Schlüsselaspekt seiner Konstruktionsprinzipien. Er nutzt recycelte und lokal verfügbare Materialien, um den ökologischen Fußabdruck seiner Bauten zu minimieren. Dies zeigt sich in seinen Bauten für humanitäre Hilfe, bei denen er schnell verfügbare Materialien verwendet oder in dem Projekt wie den „Transparent Tokyo Toilets“, die Funktionalität mit Ästhetik verbinden. Neben der ökologischen Nachhaltigkeit tragen diese Toiletten auch zur sozialen Nachhaltigkeit bei. Sie verbessern die öffentliche Infrastruktur und schaffen sicherere und hygienischere Bedingungen für alle Nutzer. Die Transparenz des Designs löst zwei wesentliche Probleme öffentlicher Toiletten: die Sorge um Sauberkeit und die Angst vor möglichen Gefahren. Sie bieten somit nicht nur hygienische und sichere Bedingungen, sondern verwandeln durch ihre transparente und beleuchtete Struktur auch den öffentlichen Raum.

Das neue Buch von Jodidio umfasst 696 Seiten mit großformatigen, panoramaartigen Fotografien und Plänen, die Bans einzigartigen Ansatz dokumentieren. Es ist ein inspirierendes Beispiel für die Symbiose von asiatischer und westlicher Baukunst und zeigt, dass Architektur weit mehr sein kann als die bloße Gestaltung von Gebäuden. Shigeru Ban ist ein Vorbild für eine Generation von Architekten, die ihre Arbeit in den Dienst der Gesellschaft stellen und innovative und nachhaltige Lösungen entwickeln wollen. Seine Fähigkeit, elegantes und innovatives Design mit praktischen, humanitären und ressourcenschonenden Lösungen zu verbinden, macht ihn zu einem beispielhaften und einflussreichen Architekten unserer Zeit. Jodidios Buch bietet einen faszinierenden Einblick in die außergewöhnlichen Projekte und visionären Ideen dieses einzigartigen Architekten und ermutigt die Leser, Architektur aus einer neuen, nachhaltigen und humanitären Perspektive zu betrachten.

Über den Autor: 

Philip Jodidio studierte Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften in Harvard und war über zwei Jahrzehnte lang Chefredakteur der französischen Kunstzeitschrift Connaissance des Arts. Zu seinen Veröffentlichungen bei TASCHEN gehören die Reihe Homes for Our Time sowie Monografien über zahlreiche bedeutende Architekten, darunter Norman Foster, Tadeo Ando, Renzo Piano, Jean Nouvel und Zaha Hadid.


Shigeru Ban. Complete Works 1985–Today

Philip Jodidio, Autor

Neuerscheinung im Taschen Verlag 2024, XXL- Format, Hardcover, 30,8 x 39 cm, 696 Seiten, ISBN 978-3-8365-8934-5, mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch), Preis 200 Euro

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