Kleine Geschichten von großen Künstlern

Text: Alexandra Wendorf

Kleine Geschichten von großen Künstlern von Laurence Anholt ist ein Kinderbuch, das auf einfühlsame Weise die Biografien berühmter Künstler wie Frida Kahlo, Vincent van Gogh, Claude Monet und Pablo Picasso vermittelt. Dabei verbindet es historische Genauigkeit mit kindgerechter Sprache und fantasievoller Gestaltung. So gelingt es dem Buch, jungen Leserinnen und Lesern nicht nur Kunst, sondern auch Werte wie Kreativität, Mut und Durchhaltevermögen zu vermitteln. Die Geschichten eröffnen Kindern eine Welt, in der Kunst greifbar und inspirierend wird – und sind zugleich eine Einladung an Erwachsene, sich auf diese Reise zu begeben.

Das Buch basiert auf einer Reihe, die vor rund 30 Jahren mit einzelnen Geschichten über Künstler und ihre Begegnungen mit Kindern begann und im Laufe der Jahre immer wieder neu aufgelegt wurde. Die Jubiläumsausgabe, die diese Geschichten in einem Sammelband zusammenfasst und zusätzliche Inhalte wie Künstlerbiographien und hochwertige Kunstreproduktionen enthält, ist nun erstmals im Taschen-Verlag erschienen.

Ein zentrales Element dieser Künstlergeschichten ist die intensive Recherche, die Laurence Anholt in seine Erzählungen einfließen ließ. Jede Geschichte basiert auf historischen Ereignissen und realen Begegnungen zwischen den Künstlern und den Kindern, die sie inspiriert haben. Dabei geht Anholt weit über die reine Quellenarbeit hinaus: Er besuchte die Ateliers und Wohnorte der Künstler, studierte ihre Werke und sprach mit ihren Nachkommen oder engen Bekannten.

In der Geschichte über Vincent van Gogh erfahren wir von Camille, dem Sohn des Postmeisters von Arles, der den Künstler tatsächlich kannte und auf mehreren seiner Gemälde porträtiert wurde. Anholt nutzt diese Begegnung, um die Geschichte eines verkannten Genies zu erzählen, das seiner Zeit weit voraus war.

Besonders persönlich ist die Geschichte von Picassos Beziehung zu Sylvette David, dem „Mädchen mit dem Pferdeschwanz“, das ihn zu einer Reihe von Gemälden und Skulpturen inspirierte. Anholt sprach freundschaftlich mit Sylvette (heute Lydia Corbett) und erfuhr, wie Picasso ihr ein Gemälde schenkte, dessen Verkauf ihr später ein unabhängiges Leben als Künstlerin ermöglichte.

Für die Geschichte über Monet erhielt Anholt privaten Zugang zu dessen Haus und Garten in Giverny. Er schildert Monets Arbeit an seinen berühmten Seerosenbildern und den Zauber seines „magischen Gartens“ so lebendig, dass sich der Leser mitten in dieser Bilderwelt wiederfindet.

Diese Recherchen verleihen dem Buch eine Authentizität, die es aus der Masse der Kinderbücher heraushebt. In ihrer Tiefe erinnern sie an Ernst H. Gombrichs „Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser“, das ebenfalls historische Inhalte für ein junges Publikum verständlich aufbereitet. Während Gombrich komplexe Ereignisse in klarer, prägnanter Sprache beschreibt, schafft Anholt emotionale Nähe, indem er Kinder als Protagonisten wählt, die den Künstlern begegnen. Beide Bücher verfolgen das Ziel, Wissen zugänglich zu machen, Zusammenhänge herzustellen und lebenslange Neugier zu wecken.

Ein wesentliches Merkmal von „Kleine Geschichten von großen Künstlern“ sind die Illustrationen, die Anholt selbst geschaffen hat. Seine farbenfrohen, oft verträumten Aquarelle ergänzen die Geschichten und schaffen eine kindgerechte Atmosphäre. Gleichzeitig enthält das Buch Reproduktionen der Werke der vorgestellten Künstler und ermöglicht Kindern so einen direkten Zugang zur Kunstgeschichte. Anholts Bilder verstärken die Erzählungen, indem sie Stimmungen und Gefühle einfangen, etwa die Einsamkeit im Leben van Goghs oder die lebendige Farbwelt Frida Kahlos. Die surrealen Elemente seiner Illustrationen laden Kinder ein, ihre eigene Fantasie einzubringen und die Welt der Kunst spielerisch zu erkunden.

Trotz der gelungenen visuellen Gestaltung wirft die starke Präsenz von Anholts eigenen Illustrationen auch Fragen auf: Wie viel Illustration braucht ein Buch, das Kunst beschreibt? Die Bilder machen die Geschichten zwar anschaulicher, könnten aber auch von den eigentlichen Kunstwerken ablenken. Eine stärkere Betonung der Reproduktionen hätte möglicherweise den Fokus auf die Originale verstärkt und den Kindern die Möglichkeit gegeben, diese intensiver zu betrachten und zu interpretieren. Hier zeigt sich eine mögliche Herausforderung, die Balance zwischen künstlerischer Freiheit und didaktischem Anspruch zu halten.

Eine ganz andere Perspektive: Kunst und Künstler werden aus der Sicht von Kindern erzählt.

Eine Stärke des Buches ist seine interaktive Gestaltung. Die Geschichten enthalten Fragen an die Leser, die die Kinder direkt ansprechen und zur Auseinandersetzung mit den Themen anregen. So werden sie nicht nur zu passiven Zuhörern, sondern zu aktiven Teilnehmern. Neben der Kunst vermittelt das Buch Werte wie Freundlichkeit, Selbstvertrauen, Ausdauer und Kreativität. Diese Botschaften machen das Werk nicht nur informativ, sondern auch inspirierend.

„Kleine Geschichten großer Künstler“ von Laurence Anholt ist ein detailreich geschriebenes und gestaltetes Buch, das Kindern und Erwachsenen die Welt der Kunst näher bringt. Durch die gelungene Mischung aus fundierter Recherche, emotionaler Erzählweise und fantasievollen Illustrationen werden die Lebensgeschichten berühmter Künstler greifbar und spannend vermittelt. Anholts Werk ist eine inspirierende Einladung in die Welt der Kunst und ein wertvoller Beitrag zur Kinderliteratur – ein Buch, das nicht nur Kinder zum Staunen bringt, sondern auch Erwachsene einlädt, Kunst neu zu entdecken.

Über den Autor: 

Laurence Anholt ist ein britischer Autor und Illustrator, der sich auf Kinder- und Jugendbücher spezialisiert hat. Er wurde 1959 in Chichester, England, geboren und studierte Kunst an verschiedenen Hochschulen, darunter das Royal Academy of Art. Seine Karriere umfasst eine beeindruckende Vielfalt an Werken, die sich durch ihren kreativen Stil und ihre emotionale Tiefe auszeichnen. Gemeinsam mit seiner Frau Catherine Anholt, ebenfalls Kinderbuchautorin und Illustratorin, hat er über 200 Bücher veröffentlicht, die weltweit bekannt sind.


Kleine Geschichten von großen Künstlern

Laurence Anholt, Autor

Neuerscheinung im Taschen Verlag 2024, Hardcover, Halbleinen, 20,5 x 25,6 cm, 336 Seiten, ISBN 978-3-8365-9723-4, Ausgabe: Deutsch, Preis 30 Euro

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