Riki Mijling

von Dr. Peter Lodermeyer

[vc_row][vc_column][vc_column_text]Die Diskussionen über Eugen Gomringers Gedicht „avenidas“, die vor knapp zwei Jahren weit über literarisch interessierte Kreise hinaus kontrovers geführt wurden, sind abgeebbt. Mittlerweile wurden Fakten geschaffen, denn nun ist dieser 1954 gesetzte Meilenstein der Konkreten Poesie, in dem einige wenige Leser*innen einen sexistischen Unterton ausmachen wollten, von der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin verschwunden und durch ein Gedicht der Lyrikern Barbara Köhler, der Gewinnerin des Alice Salomon Poetik Preises 2017, ersetzt worden. Oder nein, nicht wirklich verschwunden: Da Köhler in ihrem Text gewisse Anspielungen auf das frühere Gedicht macht und zudem Buchstabenreste der „avenidas“ auf der Wand sichtbar sein sollen, wurde Gomringers Werk nicht einfach ausgelöscht, sondern bleibt als rudimentäre Erinnerungsspur auf der Fassade erhalten. Ob diese lyrische Dialektik als salomonische Entscheidung in dieser bisweilen bizarr anmutenden Literaturkontroverse gelten kann, muss sich noch erweisen. An dieser Stelle aber soll nun einmal der Blick von Gomringers frühem Gedicht weg und auf eines seiner jüngsten poetischen Erzeugnisse gelenkt werden. Der 93-jährige, in Bolivien geborene, seit Jahren in der oberfränkischen Stadt Rehau lebende Dichter hat ein Gedicht geschrieben, das, auf den 08.02.2018 datiert, der niederländischen Künstlerin Riki Mijling gewidmet ist. Im Unterschied zu den avantgardistischen „avenidas“ handelt es sich dabei um die traditionelle Gedichtform eines Sonetts. Trotz der konsequenten, für die Konkrete Poesie typischen Kleinschreibung und des Verzichts auf Interpunktion sorgen die Reime, der konventionelle Satzbau und das durchgängige Versmaß des fünfhebigen Jambus für ein geradezu klassisches Erscheinungsbild. In den beiden Quartetten dieses Sonetts fragt Gomringer zunächst nach dem Wesen der Kunst und des Konkreten. Mit dem ersten Terzett kommt dann unversehens ein konkretes Kunstwerk ins Spiel: „dann hältst du plötzlich mal den atem an / da ist ein werk dem widerspruch enthoben / und ist im stillen wohlgetan“. Bei diesem stillen Werk, das dem „du“, dem Alias des lyrischen Ichs, den Atem verschlägt, handelt es sich um eine Arbeit der Bildhauerin Riki Mijling. Es erscheint diesem so gewichtig, dass er im Schlussvers sich selbst – und damit uns, die Leser und Leserinnen des Gedichts – auffordert: „an ihrem werk musst du dein sein erproben“. Eine bildhauerische Arbeit, die ein solches Maß an Stimmigkeit aufweist, dass man daran sein Sein auf die Probe stellen kann, ja „muss“ – dies spricht von einer Ernsthaftigkeit des Kunsterlebens, wie man sie in unserer heutigen Unterhaltungs- und Eventkultur nur noch selten antrifft. Nicht zufällig erinnert Gomringers Schlussvers an einen anderen existenziellen Appell, der ebenfalls in einem Sonett geäußert wurde, das sich auf eine Skulptur bezieht: Rainer Maria Rilkes „Archaischer Torso Apollos“ von 1908. Dort heißt es in der berühmten Schlusswendung: „denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.“

Wer ist Riki Mijing?
Wer ist die Künstlerin, deren Werk der Dichter ein solches die Existenz auf die Probe stellendes Gewicht zumisst? Gomringers „Sonett an Riki Mijling“ ist in einem opulent ausgestatteten Buch über das Werk der Bildhauerin veröffentlicht worden, das der Kunsthistoriker Antoon Melissen, der wohl beste Kenner ihrer Arbeit, soeben im Kerber Verlag veröffentlicht hat. Riki Mijling, 1954 im niederländischen Nijmegen geboren, lebte lange Zeit in Amsterdam und hat vor Kurzem ein neues Atelier auf dem platten Land, östlich von Arnheim, unweit der deutsch-niederländischen Grenze, bezogen. Zuweilen zieht sie sich auch in ein winziges Dorf im Süden Portugals zurück, um zu zeichnen. Die Stille und die Leere der Landschaft sind ideale Voraussetzungen für ihre Kunst, in der eben dies eine entscheidende Rolle spielt: Stille und Leere. Stahl ist Mijlings bevorzugtes künstlerisches Material, ihre strenge Formensprache basiert auf geraden Linien, rechten Winkeln und präzisen Proportionen. Darin zeigen sich unübersehbare Verwandtschaften zu Konstruktivismus, Konkreter Kunst oder Minimalismus – und doch lassen ihre Arbeiten bei aller scheinbaren Vertrautheit der im Formalen einen ganz eigenen Ansatz erkennen, der eine aufmerksame und konzentrierte Betrachtung erfordert.

Stahl, hart, schwer, in starre geometrische Formen gebracht, gilt ja weithin als ein typisch „männliches“ Material, das sich hervorragend für imposante Monumentalplastiken eignet, man denke nur an Richard Serras tonnenschwere Stahlungetüme im öffentlichen Raum. Riki Mijling vermeidet alles Martialische und Auftrumpfende, sie nimmt dem Material seine Kälte und Härte und bevorzugt sensible, mit Rostpatina versehene oder aber gebrannte und gewachste Oberflächen, die eine weiche, verletzliche Anmutung haben. Die feuergeschwärzten Flächen weisen oft einen zarten Farbschimmer auf, der ihnen einen Hauch von malerischer Qualität verleiht. Auch wenn die Künstlerin das große Format keineswegs verschmäht, arbeitet sie doch auffallend oft in mittleren und kleinen Dimensionen.

Der Dichter Paul Claudel hat einmal über das bildhauerische Werk seiner Schwester Camille Claudel geschrieben, sie sei die erste Schöpferin einer Kunst des Innenraums gewesen. Der Innenraum, das bewohnte Zimmer mit seinen spezifischen Lichtverhältnissen und Einrichtungsgegenständen, bildet auch für viele Arbeiten von Riki Mijing die ideale Umgebung. Ihre Skulpturen sollen nicht auf Sockel gestellt und so aus ihrer Umgebung herausgehoben werden. Auch für eine Aufstellung am Boden, dem üblichen Standort modernistischer Skulptur, sind sie in aller Regel nicht gedacht. Viele der kleineren Formate kommen am besten zur Geltung, wenn sie auf Tischen, Kommoden, Fensterbänken aufgestellt werden; mit ihren klaren Formen und stimmigen Proportionen nehmen sie Kontakt zum umgebenden Raum auf, kommentieren und verändern ihn. Nicht wenige Arbeiten sind auch für eine Aufhängung an der Wand geeignet. Was die Positionierung ihrer Skulpturen angeht, ist Riki Mijling alles andere als dogmatisch: Auch wenn die Initialen, mit denen sie ihre Plastiken signiert, eine gewisse Position vorzugeben scheinen, lässt die Künstlerin es durchaus zu, dass sie umgedreht und neu ausgerichtet werden, wenn die Situation im Raum es erfordert. Zahlreiche ihrer Arbeiten bestehen ohnehin aus mehreren Teilen, die man frei umgruppieren und zusammenstellen kann, sodass sich eine unabsehbare Zahl von ästhetisch stimmigen Möglichkeiten ergibt.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_single_image image=“35880″ img_size=“large“][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]

‘Void XI’ 2015 | 116 x 208 x 43 cm, Corten steel,  (c) 2018 Iemke Ruige M.A, Courtesy Axel Pairon Gallery

[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Was Mijlings Skulpturen aber besonders auszeichnet und in Kontrast zu traditionellen konstruktiven oder minimalistischen Auffassungen bringt, ist ihr zentrales Interesse an der Thematisierung der Leere. Mit einer leichten Übertreibung könnte man sagen, dass sie ihre Stahlgebilde nur baut, schweißt, schneidet und poliert, damit sie deren Öffnungen und Leerstellen artikulieren kann. Mindestens so wichtig wie geschlossene Flächen und kompakte Volumina sind ihr die Zwischenräume, Durchblicke und Spalten, durch die der leere Raum fließen kann.

Dieses Interesse am Motiv der Leere hat eine längere Vorgeschichte. Als junge Künstlerin interessierte sich Riki Mijling lebhaft für die Architektur alter Kulturen. Sie besuchte Pyramiden und Tempelanlagen in aller Welt, immer auf der Suche nach so etwas wie der Wahrheit der künstlerischen Form. Dabei hatten es ihr besonders Tore und Torbauten angetan. Das Tor als architektonischer Archetypus stellt die Verbindung von Hier und Dort, Diesseits und Jenseits, Innen und Außen her. Tore kann man öffnen und schließen, sie können Geheimnisse bergen oder enthüllen. In den 1990er-Jahren hat Riki Mijling mehrere großformatige torbauartige Skulpturen aus Stein geschaffen. Doch dann sublimierte sie diese Form zusehends, Stahl trat als Werkstoff in den Mittelpunkt – geblieben ist die immer neue Inszenierung von Leere. Ein anschauliches Beispiel dafür ist etwa ihre Arbeit „Resonance 2D-6“ von 2008, eine flache Wandarbeit, in deren Mittelpunkt ein schwarzes Quadrat steht. Dieses wird an den Seiten von rechteckigen Feldern, die eine leere Rahmenform bilden, flankiert. Interessanterweise fehlt aber der Rahmen rechts oben, sodass sich nicht eindeutig entscheiden lässt, ob das Feld dort überhaupt mit zu der Arbeit gehört oder nicht. Je länger man sich auf diese Frage konzentriert, desto interessanter wird diese durch einen simplen Symmetriebruch erzeugte Stelle. Dort, wo „nichts“ zu sehen ist, in dieser Leerstelle, erscheint ein immaterieller Gegenpol zu dem massiven Stahl-Quadrat in der Mitte.

Nun wird vielleicht verständlicher, was Eugen Gomringer meint, wenn er sagt, an Mijlings „werk musst du dein sein erproben“. Diese Kunst ist streng, aber nicht dogmatisch, sie zeigt Haltung, Klarheit, Bestimmtheit und artikuliert das Sichtbare in Relation zum Nichtsichtbaren. Um ihr in der Betrachtung gerecht zu werden, muss man sich in gewisser Weise an ihrer Entschiedenheit ausrichten; um ihre Stille zu erfahren, muss man in sich selbst still werden.

Titelbild: Riki Mijing, Three Elements, 2014, Corten Stahl, 54 x 108 x 90 cm, © lmeke Ruige, Amstelveen, Courtesy Floss & Schulz, Köln

Informationen und Links:

Kerber Verlag

Riki Mijing Foundation

Axel Pairon Gallery[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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