Zwei Künstler. Zwei Materialien. Eine neue Skulpturensprache.

Text: Alexandra Wendorf

Die Sonne fällt schräg durch die hohen Fenster einer Wiener Werkstatt auf blank polierten Stahlflächen, bricht sich in den Glasobjekten, die am Arbeitstisch stehen. Es ist ein Ort voller Energie, Kontraste und gespannter Erwartung. Hier begegnen sich zwei Künstler, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch von derselben Neugierde getrieben werden: Thomas Schönauer, der „Stahlpoet” aus Düsseldorf, und Robert Comploj, der Wiener Glasvisionär und Experimentator.

Schönauer ist bekannt für seine monumentalen Raumkörper aus Stahl: kraftvoll, architektonisch, in der Balance von Masse und Leere. Sie bestehen im öffentlichen Raum ebenso selbstverständlich wie im Licht des Ateliers. Jahrzehntelang hat er sich mit den Möglichkeiten des Metalls auseinandergesetzt: „Stahl ist kein Material, das man bändigt. Man muss es verstehen – als Gegenüber, als Resonanzraum.“ Doch trotz aller Erfolge lässt ihn eine Frage nicht los: Kann die Energie und Aura seiner Großskulpturen auch in kleiner, zerbrechlicher Form existieren?

Die Antwort offenbart sich nicht im gewohnten Terrain, sondern bei einem Museumsbesuch vor römischen Gläsern – filigranen Alltagsobjekten, die zwei Jahrtausende überdauert haben. Das Medium Glas, das ihm bislang fremd war, beginnt, ihn zu reizen. Doch wie lässt sich diese verletzliche Materie künstlerisch fassen? Nach einer Odyssee durch Europas Glashochburgen – Murano, Böhmen und Zwiesel – führt ihn eine Empfehlung in die Werkstatt von Robert Comploj.

Comploj steht für eine Glaskunst, die Tradition und künstlerische Neuerfindung souverän verbindet. Seine Formen sind organisch, lichtdurchflutet, präzise und dennoch frei. „Glas ist ein lebendiges Material“, sagt Comploj. „Es atmet, es reagiert, es kann Energie aufnehmen und verwandeln.“ Diese Haltung, gepaart mit technischer Meisterschaft, überzeugt Schönauer sofort. Die gegenseitige Faszination ist spürbar, der Dialog beginnt – erst vorsichtig, dann immer intensiver und experimenteller. „Nicht nur die handwerkliche Perfektion, sondern auch die Persönlichkeit und der gemeinsame Blick auf Kunst und Welt haben mich überzeugt – und glücklicherweise auch ihn“, erinnert sich Schönauer.

Robert Comploj, Foto © Patrick Griesbacher-Tafner
Thomas Schönauer, Foto © Patrick Griesbacher-Tafner

Was folgt, ist kein gewöhnliches Künstlerprojekt. Es ist eine Herausforderung für beide Materialien und Temperamente. Stahl und Glas, Schwere und Leichtigkeit, Stabilität und Fragilität sowie Rationalität und sinnliche Offenheit treten in einen Dialog, der bald mehr ist als ein bloßes Experiment. In der Serie „Stahlgeist” verschmelzen ihre Ansätze: Thomas konstruiert ein erstes Stahlmodell, Robert antwortet mit einer Glasform, die das Motiv spiegelt, aber eigenständig bleibt. Jedes Material wahrt seine Identität – und doch entsteht eine Einheit, die über das Einzelne hinausgeht.

Die Werkprozesse sind ein Abenteuer: Funkenflug und Presslufthammer auf der einen Seite, 1 100 Grad heiße Glasöfen und rhythmische Glasbläserpfeifen auf der anderen. Jeder Schritt verlangt höchste Präzision und Respekt vor dem Material. „Es ist wie ein Tanz“, sagt Comploj, „jede Bewegung muss stimmen.“ Schönauer ergänzt: „Man muss dem Material zuhören. Nur so kommt Leben in die Form.“

Die größte Herausforderung ist es, die Balance zu finden – dieselbe Form sowohl in der massiven Statik des Stahls als auch in der vibrierenden Fragilität des Glases lebendig werden zu lassen. Die Lösung liegt dabei nicht allein in der Technik, sondern auch in Geduld, Intuition und Vertrauen. Beide Künstler suchen kompromisslos nach der optimalen gemeinsamen Lösung und dem maximalen Ausdruck. Schönauer beschreibt es als „eine selten erlebte Bereitschaft zum Dialog“.

Das Ergebnis ist eine neue Skulpturensprache: kraftvoll und transparent, schwer und schwebend, technisch brillant und zugleich poetisch aufgeladen. Skulpturen, die im Licht nicht nur strahlen, sondern beinahe zu atmen scheinen. „Mehr Strahlkraft im wahrsten Sinne des Wortes ist kaum vorstellbar“, staunt Schönauer über eine Skulptur mit innenverspiegelten Linsen, die durch Reflexion ihre Dimensionen scheinbar sprengt.

Thomas Schönauer und Robert Comploj in der Wiener Werkstatt, Foto © Patrick Griesbacher-Tafner
Eine Skulptur aus der neuen Serie Glass-Cultivator, Foto © Patrick Griesbacher-Tafner

Die Kooperation bleibt dabei kein einmaliges Experiment. Mit der Serie Glass-Cultivator und der europaweiten Eintragung des Markennamens wird aus dem Dialog ein Zyklus einzigartiger Werke, die international Aufsehen erregen. Thomas Schönauer by Robert Comploj: Das ist mehr als Markenstrategie – es ist das sichtbare Zeichen einer künstlerischen Allianz, die aus gegenseitigem Respekt, technischem Wagemut und der Freude am schöpferischen Abenteuer entsteht.

Am Ende eines langen Tages, wenn die Öfen abkühlen und die Werkstatt zur Ruhe kommt, wissen beide: Hier ist etwas Neues entstanden. Zwei Künstler, zwei Welten – eine gemeinsame Vision. Stahl und Glas begegnen sich und werden zum strahlenden Zeichen für Neugier, Offenheit und den Glauben an die transformative Kraft der Kunst.

Das vorliegende Buch dokumentiert nicht nur die Werke, sondern erzählt auch von dieser wegweisenden Begegnung: rau, intensiv, voller Leichtigkeit und Vertrauen. Denn wahre Kunst entsteht dort, wo Unterschied zur Inspiration wird und Materialien beginnen, eine neue Sprache zu sprechen.


Glass Cultivator – Thomas Schönauer by Robert Comploj

Thomas Schönauer, Robert Comploj, mit zahlreichen farb. Abb., broschiert, 1. Auflage 2025, 164 Seiten, 30,0 cm x 30,0 cm, Sprache des Textes: Englisch, erscheint: August 2025, Barton Verlag, ISBN 978-3-911586-08-5

Titelbild: Glass Cultivator, Thomas Schönauer by Robert Comploj, Foto © Patrick Griesbacher-Tafner

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