„55 KILO MÄDCHENTRAUM“ I Gründungsgeschichte mit Bauhaus-Wurzeln

Von Mascha Schlubach

Ihren eigenen Traum haben Daniel Klapsing und Philipp Schöpfer in Berlin wahr gemacht und 2013 das Designstudio mykilos gegründet. Das aus DDR Zeiten stammende Gebäude, beherbergt dort Möbel mit Stil und Verstand.

Leipzigerstraße, Berlin-Mitte. An der viel befahrenen Allee, ein wenig versteckt hinter blühenden Bäumen, lugen zwei große Fensterfronten durchs Geäst. Sie geben den Blick auf einen loftartigen Raum frei, dessen schwindelerregende Deckenhöhe sich bereits von außen erahnen lässt. Oberhalb der gläsernen Eingangstür, die mit ihrem weißen, langen Türgriff an den Eingang einer Arztpraxis erinnert, befinden sich zwei Buchstaben. In kantiger Form und in kräftigem Schwarz leuchten einem die Initialen M und K entgegen – hier ist das Designstudio mykilos zuhause. Transparent gestatten die riesigen Fenster die Sicht auf das, was das Herz des jungen Labels ausmacht: Minimalistische, kluge Möbel und Wohnaccessoires. Im Inneren des Ladens angekommen, bestätigt sich die Ahnung von außen – hohe Decken, metallene Rohre, industrieller Charme, Raum zum atmen. Sofort fallen die dominierenden Farben ins Auge. Schwarz, grau, weiß und rosa. Passend dazu hängt ein rosafarbener Lamellenvorhang von der Decke und dient als räumliche Trennung. „Es gibt eben nicht nur diese langweiligen Zahnarzt-Wartezimmer-Lamellen in weiß“, lacht einer der beiden Gründer und Designer, Philipp Schöpfer. Auf einer Onlineseite gesichtet, habe damit vor drei Jahren die Rosa-Phase angefangen und irgendwie nicht mehr aufgehört. „Es war eine Art Selbstläufer und jetzt ist die Farbe fester Teil unseres Labels“, erzählt der gebürtige Stuttgarter. Aber ihre Produkte definieren sich über weitaus mehr als nur über ihren Anstrich.

Philipp Schöpfer und Daniel Klapsing in einer ihrer Küchen © mykilos

Die Gründer Philipp Schöpfer und Daniel Klapsing, beides Kinder der Bauhausuniversität in Weimar, absolvierten dort 2010 und 2012 ihren Abschluss. Als Produktdesigner und mit den Wurzeln des Bauhaus verbunden, haben sich beide schon immer mit dem Bereich des Handwerks beschäftigt. „Während unseres Studiums haben wir sehr viel Zeit in der Holzwerkstatt verbracht und sind schnell mit der Industrie in Berührung gekommen“, erinnern sich die Beiden. Es ging also nicht nur um die gedankliche Konzeption eines kreativen Designs, sondern vor allem auch um die physische Realisierung dessen. „Wir wollten nicht nur Autorendesigner sein, sondern auch Teil der Produktion selbst und die Uni hat dafür den Rahmen geboten“, so Schöpfer. Von dem Wunsch getrieben Möbel zu entwerfen und zu entwickeln, gründeten sie noch während ihres Studiums, 2007, das Designstudio 45Kilo. Die Namensgebung ergab sich zufällig an einem Abend unter Freunden: „Wir waren in Weimar unterwegs und plötzlich ist eine Freundin von uns in Gelächter ausgebrochen, weil sie zufällig einen ehemaligen Klassenkameraden gesehen hat und sich dabei an eine Situation aus der Schulzeit erinnern musste. Die sind damals nachts zusammen ins Freibad eingebrochen und der Typ hat dann nach ein paar Bier irgendwann oberkörperfrei und ziemlich selbstbewusst behauptet, er sei der `55 Kilo Mädchentraum´. Dieser Spargeltarzan in Bodybuilder-Pose muss ein herrliches Bild gewesen sein. Natürlich mussten wir übertreiben und haben aus den 55 Kilo einfach 45 Kilo gemacht.“ Beeindruckt von der selbstbewussten Art ihres Namensgebers, und mit einem Augenzwinkern, entstand dann 2011 ein neues Label. Der Slogan: MY BAHAUS IS BETTER THAN YOURS. Als Kooperation gedacht, arbeiteten sie gemeinsam mit zwei Grafikern aus Weimar an neuen Projekten. Aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen, löste sich das Quartett jedoch nach einiger Zeit wieder auf. Einzig das Wort „MY“ aus dem Titel blieb bestehen und so kamen die beiden jungen Designer 2013 zur dritten Label-Gründung – mykiloswar geboren. „Wir wollten mit unseren Entwürfen endlich richtig in Serie gehen, produzieren und vertreiben“, erzählt Daniel.

Gesagt, getan, doch der Weg war oftmals steiniger als gedacht. Besonders die vielen neuen Aufgaben, die so ein Betrieb mit sich bringt, hat die Gründer anfänglich zu schaffen gemacht. „Die größte Herausforderung war eigentlich, sich bewusst zu machen, dass man sich vom Designer zum Unternehmer entwickeln muss, um das Label am leben zu halten. Diese neue Form der Verantwortung frisst sehr viel Energie, aber man lernt auch unglaublich viel dazu“, sagt Philipp. Das Studium bereitet einen eben nicht auf die kaufmännischen Fragen nach Buchhaltung, Verkauf oder Vertrieb vor; alles Bereiche, die für die beiden Jungunternehmer somit neues Terrain waren. Auch die finanzielle Situation hat die Entwicklung des Labels auf eine harte Probe gestellt. Da es keine großen Geldspritzen gab, sondern einzig private Darlehen, konnte das Unternehmen nur organisch wachsen und hat sich letztlich durch jedes verkaufte Objekt wieder weiter finanziert. Mittlerweile sieht es anders aus. „Inzwischen tragen die stetig größer und lukrativer werdenden Projekte und Verkäufe das Unternehmen allein, was uns wirklich sehr stolz macht.“ Ein Verdienst, der sowohl auf das Durchhaltevermögen und das Herzblut der beiden Designer, aber auch auf deren innovativen und praktischen Interieur-Stücke zurückgeht. Auf die Frage nach dem ersten Erfolgsprodukt, gibt es eine klare Antwort: „Was den seriellen Verkauf betrifft, ist der Brotkasten in jedem Fall unser größter Erfolg und er hält immer noch an.“ Besagter Brotkasten ist in seiner Idee so simpel und genial, dass man sich ärgert nicht selbst darauf gekommen zu sein. Der Clou des Produkts ist der Deckel, denn er ist nicht nur Pendant zu dem aus Stahl bestehenden Korpus, sondern zeitgleich auch ein Schneidebrett. Dieses Brett gibt es in zwei unterschiedlichen Materialien. Wer es klassisch mag, greift zur hölzernen Ausstattung. Die ausgefallenere Variante besteht aus dem handelsüblichen P.E. 500 (Polyethylen), was ein beliebtes Material für Schneidebretter an der Supermarkt-Frischetheke ist. „Das Material bietet viele Vorteile. Es ist lebensmittelecht und waschmaschinenfest und damit sehr unkompliziert in der Handhabung“, erklärt Daniel. Das Besondere an dem Deckel des Brotkastens ist allerdings die Färbung. Normalerweise begegnen einem diese Bretter in langweiligen Standardfarben und vor allem in weiß. Bei mykilos bekommt das Schneidebrett jedoch eine besondere Note. „Daniel und ich lieben Straciatellaeis. Deswegen haben wir nach einem Brett gesucht, was dieser Anmutung ähnelt“, verrät Philipp. Gemeinsam mit der rechteckigen Stahlbox, ergibt der schwarz-weiße Straciatella-Deckel ein schönes Designobjekt, was nicht nur schmeichelnd für jede Küche ist, sondern auch von Praktikabilität zeugt. Dass es den Brotkasten dazu noch in vier unterschiedlichen Farben gibt, dürfte das Individualistenherz dann gänzlich in die Höhe schlagen lassen.

Ebenso formklar, elegant und klug konzipiert, sind die Küchen von mykilos. 2008 fing alles an: „Die Eltern von Daniel brauchten eine neue Küche und da haben wir kurzerhand entschlossen einfach selbst Hand anzulegen. Wir haben die alte Küche rausgerissen, eine Neue entworfen, entwickelt, produziert und eingebaut. Das war unfassbar viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt. Freunde von seinen Eltern wollten plötzlich auch eine neue Küche haben und so entwickelte sich die erste `selbstgemachte´ Küche zu einem wirklich lukrativen Geschäft,“ sagt Philipp. Ursprünglich jedes Mal als Unikat entworfen, haben die beiden Designer mittlerweile drei Serien an Küchen entwickelt, die den unterschiedlichsten Ansprüchen gerecht werden sollen. „Wir wollen einfach gerne seriell produzieren, um mehr Menschen erreichen zu können: also gute Produkte für viele Menschen.“ Das Modell MK3 Berlin Blockbeispielsweise besteht aus einzelnen Modulen, die beliebig zusammengestellt werden können, sodass die Küche sehr flexibel zu gestalten ist. Außerdem dienen unterschiedlich große und in dunkelgrau gefärbte Plastikboxen als Schubkasten. Das hat den Vorteil, dass die Kästen herausnehmbar und somit auch anderweitig verwendbar sind. Außerdem ist das Material extrem robust und pflegeleicht. Dass die Küchen einmal, neben dem Brotkasten, zu einem der Dauerbrenner werden würden, hätten Daniel und Philipp am Anfang auch nicht geglaubt. „Die Küche ist ein wichtiger Ort innerhalb der Wohnung, dort hält man sich gerne auf, weil es etwas geselliges hat. Außerdem ist es eine Art neues Statussymbol. Die Küche hat definitiv das Auto abgelöst“, so Daniel.

Begibt man sich weiter auf Design-Entdeckungsreise in der Leipzigerstraße 65, fallen einem noch viele weitere Accessoires und Möbel ins Auge. Ob Messerblöcke mit Schaschlickspießen, Tischoberflächen auf denen man keine Fingerabdrücke mehr sieht, rollbare Garderoben oder eine hängende Steckdosenleiste als Lampe – die Reise scheint unendlich. Wie kommt man überhaupt auf all diese Ideen? Die Antwort darauf ist einfach: „Wir sind keine Erfinder. Wir beobachten nur alles um uns herum sehr aufmerksam. Unsere Umgebung, die Leute, die alltäglichen Situationen, die eigene Wohnung, all das sind unsere Inspirationsquellen und bieten gleichzeitig den Spielraum, Fehler zu entdecken und das Produkt anschließend effizienter zu machen“, erklärt Philipp. Altes verstehen, hinterfragen, neu denken und weiter entwickeln, ist eine stetige Herangehensweise des Designer-Duos. Es geht um Nutzbarkeit und Langlebigkeit. Um Objekte, die vom Alltag inspiriert und für den Alltag konzipiert sind, ihn angenehmer, praktischer werden lassen. Dafür brauchen die beiden keine glorreiche Eingebung: „Die Entstehung der Produkte ist meist unspektakulär, aber darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass es Produkte sind, die jeden umgeben und mit denen sich dann auch jeder identifizieren kann.“ Das kurze und prägnante Credo von mykilos trifft es also ziemlich genau: Defining new classics. Alte Klassiker überdenken und an den Stellen neu konzipieren, wo es Verbesserungspotential gibt, ist für die beiden kein Ausdruck von Überheblichkeit, sondern vielmehr ein öffentliches Bekennen zum Objekt selbst; eine Zuneigung und Wertschätzung der Konzeption gegenüber.

Die Idee der Wertschätzung scheint ohnehin ein wichtiger Aspekt beimykilos zu sein. Schaut man sich die Möbel einmal genauer an, ist jede Schraube sichtbar, jedes Kabel und jede Konstruktion offen dargelegt. Nichts wird wie ein ästhetischer Makel versteckt, alles ist transparent, weil keine Schraube und kein noch so winziges Teil überflüssig oder nichtig ist. Es ist die Wertschätzung der einzelnen Funktionen, ebenso wie den jeweiligen Materialien gegenüber. So werten die beiden Designer oftmals verschriene Erzeugnisse auf, indem sie ihnen eine neue Ausstattung bieten und in andere Zusammenhänge setzen. Plötzlich erscheint das so oft verkannte Linoleum in neuem Glanz – als edle Oberfläche eines Couchtisches. „Ich glaube, Linoleum ist mein liebstes Material, weil es so ehrlich ist und sich damit extrem viel machen lässt. Außerdem hat es viele praktische Vorteile und altert besonders schön“, schwärmt Philipp. Ihre Wertschätzung zeigt sich aber auch gegenüber den jeweiligen Produktionsstätten und die sind gar nicht so leicht zu finden. „Jedes Objekt wird woanders gefertigt, weil jede Produktion ihre eigene Expertise hat. Das Einzige, was alle gemein haben, ist, dass alles in Europa produziert wird. Gerne würden wir irgendwann die gesamte Produktion nach Deutschland verlegen.“ Der Brotkasten wird bereits seit 2016 in Berlin produziert, nachdem er zuvor in Litauen und Thüringen hergestellt wurde. Eine richtige Produktion zu finden, bedarf viel Zeit und Geduld, aber wenn sie einmal gefunden ist, kann daraus eine fruchtbare Symbiose erwachsen. Philipp erzählt, wie er das erste Mal die neue Berliner Produktion besucht hat: „Das war einfach ein so tolles und spannendes Erlebnis! Der Produktionsleiter hat sich die Zeit genommen, mir das gesamte Werk zu zeigen und mich durch die Herstellungshallen zu führen. Ich hab dann noch alle möglichen Mitarbeiter kennengelernt, die an dem Produkt beteiligt sind und war ziemlich gerührt, weil alle mit so viel Engagement bei der Sache sind. Es gibt keine Hierarchien. Ich bin also nicht der tolle Designer und der andere ist `nur´ der Handwerker.“ Diese Aufhebung der Schranken zwischen Handwerk und Kunst, ist ein zentraler Gedanke der alten Bauhaus-Ära. Sich auf Augenhöhe begegnen und ein Zahnrad entstehen lassen, wo das Eine nicht ohne das Andere greift, ist wohl die beste Ausgangssituation, um sich selbst und alle um sich herum produktiv werden zu lassen. Philipp Schöpfer und Daniel Klapsing haben es verstanden, sich mit ihrem allumfassenden Betrieb, von der Idee über die Produktion, bis hin zum Versand, von anderen Unternehmen abzugrenzen. Aber vor allem macht sie ihre Passion und die aufrichtige Verbundenheit zu ihrer Arbeit zu einem Label, dessen Leidenschaft aus den Möbeln spricht und dann zu uns.

mykilos

Leipzigerstraße 65

10117 Berlin

Mo-Fr 10-18 Uhr

Samstag nach Absprache

www.mykilos.de  www.45kilo.com

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