The Book of Colour Concepts

Text: Alexandra Wendorf

Die Faszination der Farbe ist so alt wie die Menschheit selbst und durchdringt alle Lebensbereiche. Von der prähistorischen Höhlenmalerei bis zur modernen digitalen Welt hat die Auseinandersetzung mit Farbe die Menschen schon immer tief bewegt. In Kunst, Design, Architektur und Werbung spielen Farben eine entscheidende Rolle, nicht nur als ästhetisches Mittel, sondern auch als mächtiges Kommunikationsinstrument. Farben beeinflussen unsere Stimmungen und Entscheidungen, prägen kulturelle Identitäten und haben in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche symbolische Bedeutungen. Sie sind auch ein zentrales Thema in der kunsthistorischen Forschung, wo Farben oft religiöse, emotionale und psychologische Bedeutungen offenbaren und die Intentionen und den kulturellen Kontext der Künstler und ihrer Zeit widerspiegeln. Diese universelle und doch so kulturspezifische Präsenz der Farbe macht sie zu einem spannenden Untersuchungsgegenstand.

„The Book of Colour Concepts“ taucht tief in die reiche Geschichte und die komplexen Theorien der Farbe ein und beleuchtet aus einem breiten Spektrum von Perspektiven und Disziplinen die tiefgreifenden Zusammenhänge zwischen Farbe und menschlicher Erfahrung und bietet einen umfassenden und facettenreichen Überblick über die Farbtheorie aus vier Jahrhunderten. Die im Taschen Verlag frisch erschienene zweibändige Ausgabe zeichnet sich durch eine umfassende und detaillierte Darstellung aus, die von den frühesten menschlichen Ausdrucksformen in Kunst und Dekoration bis zu den komplexen Theorien der modernen Wissenschaft reicht. Das Werk besticht nicht nur durch seine bibliophile Ausstattung und die prächtigen Farbtafeln, sondern auch inhaltlich durch seine sorgfältige Recherche und die Breite seines Ansatzes. 

In übersichtlichen Kapiteln führen die Autorinnen durch die verschiedenen Epochen und Kulturen, um zu zeigen, wie sich die unterschiedlichen Farbvorstellungen entwickelt und die menschliche Kultur geprägt haben. Von den mineralischen Pigmenten der Frühgeschichte über die Farbsysteme von Aristoteles und Newton bis hin zu modernen Farbtheorien bieten die Bände einen tiefen Einblick in die vielfältige Welt der Farben. Mehr als 65 seltene Schriften, Bücher und Manuskripte wurden aus den bedeutendsten Farbsammlungen der Welt zusammengetragen und über 1.000 Abbildungen, darunter viele neu fotografierte Prachtkreise, -kugeln und -tafeln, bereichern die Fachtexte. Die aufwendige und reich bebilderte Aufmachung dient nicht nur der Veranschaulichung der Textinhalte, sondern kann auch für sich allein als faszinierende Darstellung der verschiedenen Farbenlehren betrachtet werden und bereitet schon beim Durchblättern ein visuelles und ästhetisches Vergnügen.

Die Herausgeberin Alexandra Loske und die Co-Autorin Sarah Lowengard geben mit ihren einführenden Essays und fundierten Texten zu den abgebildeten Werken einen umfassenden Überblick über die vorgestellten Farbsysteme. Ihre vertiefenden Erläuterungen bereichern das Verständnis für die kulturhistorische Dimension der Farbtheorien, wobei ein besonderes Augenmerk auf die von Kunstgeschichte und Wissenschaft bisher oft vernachlässigten Beiträge von Künstlerinnen zur Farbtheorie gelegt wird. Hervorgehoben werden Schriften und Werke wie die innovativen „Farbflecken“ der englischen Blumenmalerin Mary Gartside oder das botanische Notizbuch der bahnbrechenden Spiritistin Hilma af Klint. Aber auch weniger bekannte Theorien wie die esoterischen Farbsysteme von Charles Webster Leadbeater und Annie Besant oder das umfangreiche „Farbwörterbuch“ von Aloys John Maerz und die kreativen Farbkompositionen des japanischen Künstlers Sanzō Wada finden ihren Platz.

Hervorzuheben ist auch die ausführliche Behandlung der Farbenlehren von Johann Wolfgang von Goethe und Philipp Otto Runge. Goethes Farbenlehre, die sich stark von den physikalischen Theorien seiner Zeit abwandte und einen eher phänomenologischen Ansatz wählte, wird ebenso beschrieben wie Runges weniger bekannte, aber höchst innovative Farbenlehre, die die Farben in Form eines Farbkreises systematisierte und spirituelle und symbolische Aspekte einbezog. Beide Theorien werden nicht nur in ihrem historischen Kontext dargestellt, sondern auch im Hinblick auf ihren Einfluss auf nachfolgende Generationen von Künstlern und Theoretikern. Auch die bereits gut dokumentierten wissenschaftlichen Arbeiten von Isaac Newton auf dem Gebiet der Optik werden aus einer neuen Perspektive betrachtet. Seine bahnbrechenden Experimente mit Prismen und seine Theorie der Zerlegung des Lichtes in Farben werden im Hinblick auf ihre anhaltende Bedeutung für die Farbwissenschaft und -theorie neu beleuchtet. 

Es ist wichtig zu betonen, dass die Autorinnen keinen Anspruch auf Vollständigkeit der vorgestellten Beispiele erheben. Die Auswahl der diskutierten Farbsysteme und -theorien ist subjektiv und umfasst sowohl die bekanntesten als auch einige weniger erforschte oder ungewöhnliche Positionen. Diese große und vielfältige Auswahl und die Breite des thematischen Ansatzes ermöglichen es, ein weites Spektrum von Ideen und Anwendungen zu erkunden und eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema zu führen. Mit diesem Herangehen gelingt es den Autorinnen auf geradezu suggestive Weise, zum Nachdenken darüber anzuregen, wie wir Farben wahrnehmen und warum die systematische Erfassung dieses flüchtigen und subjektiven Aspekts unserer Wirklichkeit ebenso herausfordernd wie lohnend ist. Überlegungen zu kulturellen, psychologischen und materialwissenschaftlichen Aspekten finden dabei ebenso Raum wie die Frage nach subjektiven Erfahrungen und physikalischen Erkenntnissen zur Farbe. So bieten die Bände eine Plattform für weiterführende und interdisziplinäre Diskussionen darüber, was Farbe in unserer Welt bedeutet und wie sie unsere Wahrnehmung prägt.

„The Book of Colour Concepts“ schlägt eine Brücke zwischen Kunst, Wissenschaft und Philosophie und ist eine anregende Lektüre und zugleich eine visuelle Sammlung für Künstler, Designer, Historiker, Wissenschaftler und alle, die sich für die weitreichenden Implikationen von Farbe interessieren. Mit seiner prachtvollen Ausstattung und dem edlen Leinenschuber ist es ein bibliophiles Statement, das dazu einlädt, die komplexe Welt der Farben und die Geschichte der Farbtheorien neu zu entdecken.

Über die Autorinnen:

Alexandra Loske ist eine britisch-deutsche Kunsthistorikerin, Autorin und Museumskuratorin mit besonderem Interesse für die Rolle von Frauen in der Geschichte der Farbe. Sie wurde an der University of Sussex promoviert und ist aktuell Kustodin des Royal Pavilion in Brighton. Neben zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen über Farbe und andere Themen hat Loske eine Reihe von Ausstellungen kuratiert, darunter 2014 „Regency Colour and Beyond, 1785–1845“ im Royal Pavilion.

Sarah Lowengard ist Technik- und Wissenschaftshistorikerin und schreibt über praktische und philosophische Auseinandersetzungen mit Farbe. Seit über vierzig Jahren restauriert sie Kunstwerke und stellt bereits noch länger handwerklich gefertigte Farben her. Lowengard ist Mitglied der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Cooper Union in New York und unterhält Verbindungen zu verschiedenen Organisationen für technische Kunstgeschichte und Kunstanalyse in den USA und darüber hinaus.


The Book of Colour Concepts

Alexandra Loske (Hrsg.), Sarah Lowengard (Co-Autorin)

Neuerscheinung im Taschen Verlag 2024, Hardcover, 2 Bände im Schuber, 846 Seiten, ISBN 978-3-8365-9565-0, mehrsprachig (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch), Preis 150 Euro

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