Anja Schindler. Spiegel der Welt.

Auf Schloss Gottorf in Schleswig ist derzeit eine bemerkenswerte Ausstellung zu sehen, die den Besucher zu einer faszinierenden Zeitreise einlädt. Unter dem Titel Spiegel der Welt“ zeigt die Konzeptkünstlerin Anja Schindler 20 Installationen, die durch intensive cyanblaue Farbtöne in den Räumen des Schlosses hervorstechen. Die Ausstellung, die vom 9. März bis zum 6. Oktober 2024 zu sehen ist, wirft einen modernen Blick auf die Epoche des Barock und die frühen musealen Sammlungen von Wissenschaft und Kunst.

Anja Schindlers Werke reichen von Zeichnungen und Malerei bis hin zu Objekten und Rauminstallationen. Ihre Arbeiten sind tief in der Tradition der Wunderkammern des 17. und 18. Jahrhunderts verwurzelt, in denen Kuriositäten und Kunstgegenstände gesammelt wurden, um den Kosmos im Kleinen darzustellen. Schindlers bevorzugte Farbe, ein leuchtendes Cyanblau, zieht sich wie ein Leitmotiv durch die Ausstellung und verleiht den Exponaten eine neue, überraschende Dimension. Diese Farbe dient nicht nur der ästhetischen Einheit, sondern symbolisiert die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart, aber auch die Gegensätze von Natur und Kultur.

Schindlers künstlerische Interventionen finden häufig in naturwissenschaftlichen Sammlungen und Museen statt, wo sie ihre Werke bewusst neben traditionelle Ausstellungsobjekte stellt. Dieses Vorgehen ermöglicht neue Sichtweisen und Interpretationen der historischen und naturwissenschaftlichen Sammlungen und regt zum Nachdenken über die ursprünglichen Bedeutungszusammenhänge der Objekte an. So stellt Schindler beispielsweise Objekte, die sie aus Flora und Fauna gesammelt, getrocknet und in Cyan getaucht hat, neben alte Vasen oder wissenschaftliche Instrumente, um eine Brücke zwischen historischer und moderner Sichtweise zu schlagen.

Ein zentrales Anliegen der Künstlerin ist es, Museen, Archive und wissenschaftliche Sammlungen wieder zum Leben zu erwecken. Sie erforscht, wie Objekte aus der Natur konserviert werden können, was sich in ihrer Verwendung von Öl und Alkohol als konservierende Mittel manifestiert. Ihre hybriden Kreationen, die Glasgefäße mit in klarem Öl konservierten Pflanzen oder in Cyan getauchte Objekte umfassen, demonstrieren ihre einzigartige Methode, Naturgeschichte und Kunst zu verbinden.

Systeme, Ordnung & Struktur

Die Ausstellung im Schloss Gottorf wird auch durch die historische Bedeutung des Ortes bereichert. Das Schloss war einst eines der Wissenszentren Europas, berühmt für seine umfangreichen Sammlungen und den Garten, der botanische Raritäten beherbergte. Von der Mitte des 17. bis ins frühe 18. Jahrhundert war die Residenz der Herzöge und Herzoginnen von Schleswig-Holstein-Gottorf eine in ganz Europa berühmte Stätte des Wissens, der bildenden Kunst, Musik und Gartenkunst. Insbesondere die kostbare Bibliothek, die reiche Kunst- und Wunderkammer, der Terrassengarten mit seiner legendären Pflanzensammlung und der begehbare Riesenglobus zogen Bewunderer an. Diese einzigartige Sammlung, die von Herzog Friedrich III. und seinem Hofbibliothekar und wissenschaftlichen Berater Adam Olearius zusammengetragen wurde, befindet sich seit fast drei Jahrhunderten nicht mehr in Gottorf, sondern in Kopenhagen. Einst wollte man mit diesen Kunst- und Wunderkammern die ganze Welt in einen Raum holen, erforschen und verstehen und die versammelten Objekte spiegelten den (damals bekannten) Kosmos wider. Heute können sie als Vorläufer der heutigen Museen betrachtet werden.

Anja Schindler, Detail einer Installation, 2024, Gotische Halle Schloss Gottorf. © VG Bild-Kunst, Bonn, 2024

Wunderkammern als Wissensysteme

Anja Schindler, die in gewisser Weise als künstlerische Wissenschaftlerin bezeichnet werden kann, nutzt ihre Kunst als Medium, um Strukturen, Formen und Ordnungssysteme in der Natur zu erforschen. Ihre Arbeiten zeigen, wie menschliche Kategorisierungen und Archivierungen natürliche Systeme abbilden und strukturieren. Dabei geht sie über die bloße Darstellung hinaus, indem sie versucht, diese Systeme künstlerisch nachzuzeichnen und zu reproduzieren. Schindlers Herangehensweise an ihre Kunstwerke ist tiefgründig und methodisch. Sie untersucht, wie Natur durch wissenschaftliche und kulturelle Praktiken geordnet und verstanden wird. Ihre Installationen und Objekte sind oft direkte Antworten auf die Art und Weise, wie Museen und wissenschaftliche Sammlungen die Welt ordnen und präsentieren. Indem sie Fundstücke aus der Natur mit Cyanblau überzieht, hinterfragt Schindler diese Ordnungssysteme und erzeugt eine visuelle und konzeptuelle Spannung zwischen dem Natürlichen und dem vom Menschen Gemachten.

Diese künstlerische Herangehensweise  eröffnet Dialoge über die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft und stellt Fragen nach der Authentizität und Interpretation wissenschaftlicher Wahrheiten. Schindler zeigt, dass die scheinbar objektiven wissenschaftlichen Klassifizierungen in Wirklichkeit von kulturellen, historischen und subjektiven Faktoren beeinflusst sind. Ihre Arbeiten laden die Betrachter dazu ein, die sie umgebende Welt neu zu betrachten und zu erkennen, dass auch in der scheinbaren Unordnung der Natur inhärente Systeme und Strukturen existieren. Im Schloss Gottorf setzt Schindler diese Themen fort, indem sie die historischen und wissenschaftlichen Erzählungen der einstigen Wunderkammer mit ihren cyanblauen Installationen konfrontiert und neu interpretiert.

Die Sammlung, die ein breites Spektrum kostbarer, exotischer und seltener Objekte aus Kunst, Wissenschaft und Natur, oft aus fernen Ländern, umfasste, war ein nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ehrgeiziges und prestigeträchtiges Unterfangen. Anja Schindler greift all diese Ideen des Sammelns, Archivierens, Ordnens, Systematisierens und der globalen Ansammlung von Wissen auf und verweist mit ihren Arbeiten auf diese bedeutende Vergangenheit. Ihre Objekte und Installationen in den heutigen Räumen des Schlosse stellen dabei eine visuelle und intellektuelle Einladung dar, über die Beziehung zwischen der natürlichen Welt und ihrer Repräsentation durch den Menschen nachzudenken. Die Ausstellung zeigt, wie künstlerische Erkundungen neue Einsichten in alte Wissenssysteme bringen können, und fordert uns auf, die Art und Weise, wie wir Wissen organisieren und kommunizieren, zu überdenken.

Über die Künstlerin:

Anja Schindler, die nach ihrem Studium in Bremen und Perugia als freie Künstlerin aber auch als Kostüm- und Bühnenbildnerin gearbeitet hat, verwandelt seit ungefähr 15 Jahren immer wieder Sammlungsräume von Museen. Dies waren naturwissenschaftliche Sammlungen wie das Botanische Museum in Berlin (2015) oder das Zoologische Museum Alexander Koenig in Bonn (2010/11), oder auch ethnologische Sammlungen wie das Übersee-Museum in Bremen (2019). Durch das Einbringen ihrer zumeist cyanblau eingefärbten Werke in bestehende Ausstellungsarrangements schafft sie Dialoge über die Jahrhunderte, erzeugt spannungsvolle Nachbarschaften, belebt Altbekanntes erfrischend neu und regt zum (Wieder-) Entdecken und Staunen an. Aber immer steht am Beginn ihres künstlerischen Schaffensprozesses ein intensives Einarbeiten in die Gegebenheiten vor Ort, in die lokale Historie sowie in die musealen Inhalte.


ANJA SCHINDLER. SPIEGEL DER WELT bis zum 6. Oktober 2024

Historischer Rundgang Schloss Gottorf, Museumsinsel Schleswig, Museum für Kunst und Kulturgeschichte Schloss Gottorf, Landesmuseen SH, Schlossinsel 1, 24837 Schleswig

Website Museum: landesmuseen.sh

Website Künstlerin: anja-schindler.com

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