DAS WEISSE BUCH

Amüsant, schräg, leichtfüßig und verblüffend sind Attribute, welche einem im Klappentext dieses Buches begegnen. Bei all den zeitgenössischen Werken, die doch ermüdend häufig mit einer anstrengenden politischen Tragweite, historischen Relevanz oder moralischen Weisheit daher kommen erscheint dieses Buch wie ein lang ersehnter Hoffnungsschimmer am Himmel der modernen Literaturlandschaft.

Nicht müde werdend sein ansehnliches Äußeres und seine Intelligenz zu betonen, manövriert Rafael Horzon sich von einer kuriosen Situation in die nächste. Als er Anfang der 1990er dem Strom der kunstbegeisterten Alternativen nach Berlin folgt, setzt er eine absurde Geschäftsidee nach der anderen um und in den Sand. In seiner Kunstgalerie Berlintokyo will er „[…] die Idee Kunst mithilfe fiktiver japanischer Künstler als obsolet blossstellen.“ Es folgen unzählige weitere, nicht weniger sinnfreie Projekte: von der Trennungsagentur Separitas, über ein Geschäft für Apfelkuchenhandel, bis hin zum Modelabel Gelée Royale, welches ausschließlich die von ihm erfundene Kopfkrawatte führt. Schließlich gründet er die „Akademie der Wissenschaften“: „Ich wollte kein Student mehr sein. Ich wollte Direktor sein. […] Tränen des Respekts vor diesem mutigen Plan stiegen mir in die Augen […].“ In guter Horzon Manier bewegen sich die Vortragsthemen in einem Spektrum zwischen „Kurzfristige Börsenspekulation“ und „Hüftgelenkoperationen in Indien“. Die Akademie lässt ihn eines seiner beiden großen Ziele erreichen. Sie macht ihn berühmt. Die Tätigkeit als Akademie-Direktor entpuppt sich als eine gute Erfahrung, „[a]ber auch nicht interessanter als die Erfahrung, eine Zeitlang als Bäcker oder Tankwart zu arbeiten.“ Sein zweites großes Ziel, unvorstellbar reich zu werden, erreicht er (zumindest ansatzweise) mit seinem Geschäft „Möbel Horzon“, welches als einziges Produkt das „formschöne Regal Modern“ führt, welches sich tatsächlich als Verkaufsschlager entpuppt.

Eigentlich kein Wunder, dass dieses Buch häufig Verständnislosigkeit bei dem ein oder anderen ernsthaften Leser hervorgerufen hat. Doch dem Autor gelingt, was Literatur nur selten zu bewirken vermag – es führt einem die Leichtigkeit des Seins vor Augen. Dabei wird der Leser, Gott sei Dank, nicht mit erhobenem Zeigefinger ermahnt, doch ja alles nicht so ernst zu nehmen, es ist vielmehr eine Art natürliche Reaktion auf diesen, nennen wir ihn mal Roman. Seinen Witz zieht er gerade daraus, dass sich Rafaels Vorhaben meist als beispiellose Reinfälle entpuppen. Doch er lässt sich nicht lange aufhalten und rennt, sobald er sich die Tränen abgewischt hat gleich frischen Mutes und „berauscht von [seiner] offenkundigen Genialität“ ins nächste Fiasko. Zudem ist „Das weisse Buch“ zugleich eine schelmische Bloßstellung der Berliner Kunstszene. Konsequent werden seine Ideen als Kunst deklariert und konsequent muss er sich gegen diese Unterstellung wehren. Der Erzählstil schwankt dabei zwischen dokumentarisch-penibler Detailtreue und überzogener hochstaplerischer Fiktion. Und man kommt am Ende dieser Lektüre nicht umhin das eigene Lebensmodell ein wenig infrage zu stellen.

Rezension: Nina Krömer


Rafael Horzon: „Das weisse Buch“, Suhrkamp Taschenbuch, 8,99 Euro

Newsletter

Folgen Sie uns!