Malerei im digitalen Zeitalter

 

Text: Alexandra Wendorf

Die Portraits von Natalia Filatova wirken wie aus der Zeit gefallen, so als kämen sie aus einer längst vergangenen Epoche und sind doch zugleich zeitlos. Es lässt sich schwer bestimmen, wann und auch wo diese Portraits entstanden sind. Weder räumliche noch zeitliche Anhaltspunkte scheint es zu geben, an denen der Betrachter sich orientieren könnte. Die Bildinformationen sind auf die reine Darstellung der portraitierten Personen reduziert und somit gänzlich auf ihre Erscheinung fokussiert. Sie wirken distanziert und doch unmittelbar und direkt. Mit dem von Filatova verwendeten Medium der Fotografie wird diese Wirkung intensiviert, indem sie die Bildausschnitte so wählt, dass der die jeweilige Person umgebene Raum uneindeutig als farbiger Hintergrund erscheint. Harmonisch oder kontrastreich abgestimmt auf die Kleidung im Zusammenspiel mit der Farbigkeit von Haut und Haar und der Komposition von Körperhaltung und Position.

Filatova nutzt die Fotografie analog zur Malerei. Es geht ihr nicht um das technisch reproduzierte Abbild, sondern um die Interpretation des Gesehenen mittels Farbe, Struktur und Komposition. Dabei sind sowohl das Experiment als auch der unmittelbare Augenblick wesentliche Komponenten ihres künstlerischen Prozesses. Deshalb verwendet Filatova eine einfache Handy-Kamera und keinen professionellen Fotoapparat mit entsprechendem Equipment. Indem sie die vermeintlich einfache Kamera benutzt, ist die Wahl des Motivs von umso größerer Bedeutung. Somit sind verschiedenste visuelle Aspekte und Kriterien bei der Auswahl und der Entscheidung für eine Portraitaufnahme wesentlich. Etwa die grobe oder feine Textur des Haares, die Farbigkeit der Haut, der Augen oder der Kleidung. 

Filatova ist eine genaue Beobachterin und immer auf der Suche nach einem Detail, das ihre ganze Aufmerksamkeit einnimmt, wobei sie befindet, dass diese von ihr einmal ausgewählten Menschen schon vom Ursprung her ein gewisses Grad der Malerei in sich selbst tragen: Besonderheiten der Attribute wie etwa die Beschaffenheit der Haare, Haut, des Make Ups, Schmucks oder der Stofflichkeit der Kleidung werden von ihr als visuelle, zuweilen gar als abstrakte Elemente aufgefasst, die auch ohne genaue Darstellung der Person als reine Malerei funktionieren würden. Somit ist es auch den Modellen frei überlassen, sich zu kleiden, zu frisieren oder zu schminken. Für Filatova ist diese Freiheit Teil ihres Konzepts, das ganz dem Ausloten der malerischen Aspekte in der Fotografie gewidmet ist. 

Entsprechend nutzt sie die Handy-Kamera als eine Möglichkeit, ihre Motive nicht einfach digital wiederzugeben, sondern maßgeblich, um sie in subtiler Weise zu verfremden und mittels der technischen Auflösung von Farbe und Form malerisch zu verändern. Filatova macht sich die beschränkten Möglichkeiten dieser Kamera derart zu eigen, dass sie Konturen nicht wirklich scharf, Farben nicht wirklich realistisch und farblich fließende Übergänge zuweilen als einzelne nebeneinanderliegende Flächen sichtbar macht. Es geht ihr eben nicht um das eigentlich Dargestellte als Subjekt, sondern um die verschiedenen Ebenen der Wahrnehmung, die durch die künstlerische Transformation hervorgerufen werden können. 

So gelingt es ihr, durch Reduktion geradewegs das Malerische in der Fotografie herauszuarbeiten und eine von Raum und Zeit losgelöste Atmosphäre entstehen zu lassen. Diese Wirkung wird in einem weiteren Schritt durch die Übertragung in das (Sieb-)Druckverfahren noch verstärkt, so dass ihre Portraits eine fast poetische Ausstrahlung erhalten, die sich auch in ihren Landschaftsbildern wiederfinden lassen. Dort geht sie noch einen Schritt weiter, indem sie den Druck um einen manuellen Farbauftrag ergänzt und so den fotografischen Dokumentationswert vollends zu Gunsten der Malerei aufhebt. Aus den ursprünglich bildgegenständlich angelegten Motiven entstehen so digitale Gemälde von irritierender Schönheit.

 

 

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