WELCOME TO INDIA I Farbenpracht, Mode und Nachhaltigkeit

Von Mascha Schlubach

Achtzehn Stunden Reiseerfahrung reicher und mindestens genau so viele Nerven ärmer, spuckte uns das gelbe, klapprige Tuk Tuk irgendwo auf einer lärmenden Straße und bei diesigem Nachthimmel aus. Die Luft war klamm und schlang sich um das Gesicht, wie das heiße Tuch, was wir zuvor noch im Flugzeug bekommen hatten. Dröhnende Hupen, beißende Lichter, Menschen-Gewusel und eine stickige Hitze, die das sechzehn Kilo schwere Gepäck auf dem Rücken zu einem wahren Hinkelstein werden ließ – so standen wir durchgeschwitzt und mit einer Fliege auf der Nase auf den Straßen Madurais. Welcome to India. Es war der Anfang einer dreiwöchigen Reise durch den Süden Indiens und nach dem kurzen Aufenthalt in Bangalore, wo wir landeten, war der Bundesstaat Tamil Nadu unsere erste richtige Station. Auch, wenn es anfänglich nicht so schien, hatte uns der Rikscha-Fahrer doch richtig verstanden und uns ganz in der Nähe unseres Hotel rausgelassen. Ein richtiges Bett und eine warme Dusche waren plötzlich zum Greifen nah und als wir an der Lobby auch noch mit einem Getränk begrüßt wurden, stieg das Urlaubsgefühl und verdrängte die Reisestrapazen, die klebrigen T-Shirts und die verspannten Schultern. Das Zimmer war fensterlos und klein, aber es kam uns wie ein Ruhetempel des Maharadscha vor. Ruhig war es tatsächlich und das Bett oder besser gesagt, die üppige Matratze, gewährte uns den erholsamsten Schlaf der gesamten Reise, was uns bedauerlicherweise zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst war. Meine naive Vorstellung von einer warmen Dusche wurde schnell eines besseren belehrt, als ich den Hahn voll aufdrehte und mir der eiskalte Strahl auf die Kopfhaut hämmerte, um dann als Tropfen langsam den Nacken runterzurollen. Ungelenkig und mit hochgezogenen Schultern machte ich einen Satz nach vorne und stand bedröppelt, im wahrsten Sinne des Wortes, in der Mitte des Badezimmers. Nach dem Hitzeschock bei der Ankunft, folgte also der Kälteschock unter der Dusche, aber im selben Moment musste ich schmunzeln: Hatte ich bei knapp vierzig Grad Außentemperatur wirklich an heißes Wasser geglaubt?

Am nächsten Tag schälten wir uns förmlich aus dem Bett – die lange Anreise und die neuen Eindrücke forderten deutlich mehr Schlaf als die scheußlichen sieben Stunden, die ständig überall empfohlen werden. Aber das Frühstück ließ nicht ewig auf sich warten und so saßen wir einen Tag nach unserer Ankunft das erste Mal um neun Uhr morgens vor Chapatis, Idlis, Kokoschutney und einem braunen Curry, das mich trotz seiner Schärfe nicht aus dem schlaftrunkenen Zustand katapultieren konnte. Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir noch nicht viel von Indien gesehen. Bei unsere Ankunft war es bereits dunkel und unser Tunnelblick in Richtung Hotel ließ den indischen Trubel an uns vorbeirauschen. Auf die SMS meiner Eltern, wie denn der erste Eindruck sei, konnte ich auch nur vage antworten und betonte vor allem das bequeme Bett. Aber all das änderte sich, als wir nach einer zweiten Runde Schlaf nach dem Frühstück am frühen Nachmittag zum ersten Mal bei Tageslicht auf dem schiefen Bürgersteig vor unserem Hotel standen. Mit dick eingecremten Gesichtern machten wir uns auf den Weg durch die verschlungen, kleinen Straßen, vorbei an riesigen Kreuzungen und unzählig blinkenden Shops, die über Handys, Süßigkeiten, Flip Flops, Ladekabel, Früchte, Blumen und Chips alles verkauften, was in einen circa fünf qm großen Laden passt. Und während wir so durch diese große, geschäftige Stadt schlenderten, wurde mir bewusst, was mir bisher entgangen war: Die Vielfalt und die strahlenden Farben der indischen Saris. Von überall kamen uns in leuchtenden Gewändern Frauen entgegen, die mal gemächlich, mal energisch umherschwirrten, die Straßen kreuzten und sie mit unendlich viel Leben füllten. Dass Indien bunt ist, war mir schon vor der Reise klar. Nicht zuletzt ist diese Vorstellung auch von den vielen Bollywood-Schnulzen infiltriert, die einem im Zuge des Lebens wohl oder übel über den Weg laufen und das Klischee von kitschig-prächtigen Saris in schirr unendlicher Farbkombination befeuern. Meine Vorstellung war also auf ein Farbenmeer eingestellt, aber wie so oft, kann die Vorstellung nicht ansatzweise das, was die Realität kann. Die Kamera in meiner Hand war pausenlos im Einsatz, weil in jeder Straße, hinter jeder Ecke neue Farben und noch buntere Stoffe warteten, die an mir vorbeizogen und denen ich jedes Mal staunend hinterher sah. Dass sich aber sogar die Realität selbst übertreffen kann, wurde mir beim Betreten des Minakshi-Tempels klar, der mit seinen zwölf verzierten und fast sechzig Meter hohen Türmen wie ein riesiger Wächter über die gesamte Stadt ragt. Nach einer aufwendigen Sicherheitskontrolle, Indien ist furchtbar bürokratisch, betraten wir barfuß und in freudiger Erwartung die Tempelanlage. Was sich hinter diesen üppig verzierten Mauern und Türmen abspielte ist wohl am ehesten mit einem Rausch zu vergleichen – ein Farb- und Musikrausch. Von überall strömten Menschen durch das Steingemäuer und wir ließen uns mitziehen von dem Sog aus lächelnden Gesichtern. Und ich lächelte auch, denn ich war im Sari-Paradies angekommen. Gelb, orange, pink, rot, lila, blau, türkis, grün, rosa, bestickt, mit Ornamenten verziert, matt oder glänzend, goldfarben gesäumt oder mit durchwebten Glitzerfäden – alles schien möglich und alles war dort in diesem Tempel vereint. Auch die Kinder, bis hin zu den Allerkleinsten, waren in bunte Kleider und Gewänder gehüllt und ich konnte meine Entzückung und Faszination nicht verbergen. In quietschender Begeisterung schaute ich ständig nach rechts und links, um alles wahrzunehmen, was mir möglich war und rannte dabei wie ein Kind bei Toys ‚R‘ Us durch die steinernen Gänge der Anlage. Ich war verliebt. Liebe auf den (fast) ersten Blick sozusagen. Diese Farbexplosion im Herzen des Minakshi-Tempels hatte mich so sehr gepackt, dass sie mich während der gesamten Reise nicht mehr losließ. Wir fuhren weiter nach Munnar ins Hochgebirge, nach Fort Kochi an die Westküste, nach Ooty mit einer alten Zahnrad-Dampflok und schließlich bis zum Agonda Beach in Goa. Egal, wo wir landeten, die Farben blieben unser treuer Begleiter und zogen mich bis zum Schluss in ihren Bann.

Stoffe in allen Farben und Mustern findet man überall in Indien

Um ein wenig von dieser Lebensfreude in Form von Kleidung mit nach Hause zu nehmen, dachte ich darüber nach, mir selbst einen Sari zu kaufen, aber letztlich verwarf ich die Idee wieder. Die Vorstellung, den leuchtenden Stoff ja doch nie aus den dunklen Untiefen meines Schranks zu entlassen, obwohl man sich fest vornimmt: „Diesen Sommer ziehe ich in an“, hat mich dann doch davon abgehalten – ein fataler Fehler. Denn als wir Anfang Dezember letzten Jahres wieder Berliner Boden unter uns hatten und im vorweihnachtlichen Trubel lediglich die Schaufenster der Kaufhäuser und die Wohnfenster der Hochhäuser leuchteten, wurde mir klar, dass ich etwas Wichtiges zurückgelassen hatte. Welcome to Germany – Welcome Tristesse. Von überall her strömten mir auch in Berlin die Menschen entgegen, aber es waren diesmal keine fröhlichen Farbkleckse, sondern, passend zum grauen Himmel, ernsthafte Gestalten mit schwarzen Mänteln und Daunenjacken. Die können zwar in Schnitt und Passform sehr vielfältig ausfallen, aber alles, was sich da im farblichen Spektrum ein wenig abhebt und über das Maximum eines fröhlichen Mausgrau hinausgeht, fällt schon auf. Die Frustration über die farblose Suppe, die einem jeden Tag in Form von Wetter, Gegend und Kleidung serviert wurde wuchs und da wirkte die Entdeckung eines Labels aus Berlin wie eine inspirierende Wohlfühlkur nach indischer Art auf mich.

An einem kalten Tag im Januar bin ich also auf dem Weg nach Berlin Mitte, um die Designerin von Zazi Vintage zu treffen und ein wenig Farbe zu tanken. Durch die großen Fenster des Ladens leuchten mir schon von draußen die bunten Kleider und Mäntel entgegen und Jeanne de Kroon, die Gründerin des Labels strahlt genau so fröhlich wie ihre Kleidung und nimmt mich herzlich in Empfang. Der Laden selbst ist noch ein wenig im Umbruch, aber auf zwei langen Kleiderstangen und vor einer tiefblauen Wand lassen die vielen Unikate den Raum schon lebendig wirken. „Wir sind erst vor drei Wochen hier eingezogen, deswegen ist noch nicht alles fertig, aber die Wandfarbe ist ganz gut, oder?“, grinst Jeanne und bietet mir einen Platz auf dem grünen Retro-Samt-Sofa an. Sofort sprudelt es aus ihr heraus und ich lasse mich mitnehmen auf eine kleine Reise durch ferne Länder und die Geschichte von Zazi Vintage. „Ich hatte schon immer große Freude an Mode und habe mir ständig alles selbst genäht. Mein Abiballkleid habe ich zum Beispiel aus alten Gardinen gemacht“, erinnert sich die gebürtige Holländerin. Dass sie mit dem Designen von Kleidung irgendwann erfolgreich sein würde, hätte sie sich aber nie träumen lassen und entschied sich, dem kreativen Elternhaus zum Trotz, für ein Jurastudium, um was „bodenständiges“ zu machen. „Nach drei Tagen habe ich das Studium dann aber sehr erfolgreich wieder abgebrochen und bin Straßenmusikerin in Paris geworden“, lacht die 23-jährige. Vom Wunsch getrieben irgendwas mit Mode zu machen, ging sie dann nach New York, um als Model zu arbeiten, aber auch das habe sich nicht richtig angefühlt. „Ich habe für Fast Fashion gemodelt, wo ein neues T-Shirt fünfzehn Euro kostet. Das hat überhaupt nicht zu meiner Vorstellung von Nachhaltigkeit gepasst und überhaupt war die ganze Branche nicht mein Ding.“ Wie so oft, landete auch sie schließlich in Berlin. „Die Stadt, wo man wirklich frei und alles sein kann, was man will“, sagt Jeanne. An der Freien Universität studierte sie Politik und Philosophie, um nach fünf Monaten festzustellen, dass sich ihre Mode ziemlich an den gängigen Modestil angepasst hatte. „Ich trug schwarze Haare, schwarze Hosen, schwarze Jacken und schwarze Rollkragenpullover und sah plötzlich genau so aus wie alle in meinem Kurs.“ Bei dieser Aufzählung muss ich lachen, weil ich mich an meine Zeit im Kunstgeschichtsstudium zurückerinnere, wo ich ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Wo sind die Farben geblieben, fragen wir uns und schwärmen dabei von der bunten Vielfalt indischer Mode. „Ich musste dann einfach mal aus dem tristen Berliner Winter raus und bin spontan nach Nepal geflogen. Da hatte ich dann das erste Mal dieses Wow-Erlebnis mit den Farben und war, in bunte Gewänder gekleidet, plötzlich ein ganz anderer Mensch. Ich bin dann noch nach Äthiopien und Zentralamerika gereist und mein Kleiderschrank war irgendwann vollgestopft mit knalliger Mode aus der ganzen Welt“, erzählt Jeanne und will mir davon unbedingt später noch ein Foto zeigen. Durch ihre vielen Reisen wird ihr klar, dass Mode als Kommunikationsform eine besondere Sprache zwischen Menschen entstehen lassen kann und entwickelte noch während des Studiums einige Projekte.

Zazi Vintage Gründerin Jeanne de Kroon gemeinsam mit den Frauen der „IPHD“ in Bhikamkor, Rajasthan © Stefan Dotter

Mit diesen Ideen und einer großen Portion Idealismus im Rucksack, reiste sie nach Indien und machte dort eine wichtige und prägende Erfahrung. „Als ich durch Indien lief, kam mir plötzlich eine Frau entgegen, die mich ansprach und mir erzählte, dass das Top, was ich trug in der Fabrik hergestellt wird, wo sie arbeitet. Das hat mich ziemlich umgehauen und interessiert. Sie erzählte mir, dass sie sich bei einer Frauenrechtsbewegung engagiert, um für bessere Arbeitsbedingung zu kämpfen. Vierzehn-Stunden-Tage sind da die Regel und 90 Prozent der Baumwolle aus Indien ist genetisch modifiziert.“ Wenn Jeanne über die miserablen Zustände in den Fabriken und die Folgen der Globalisierung spricht, gestikuliert sie energisch und man spürt ihren starken Willen, etwas verändern, etwas bewegen zu wollen. Gesagt, getan. Um eine NGO aus Mumbai, die sich gegen Zwangsprostitution stark macht, zu unterstützen, gründete sie 2016 ihr erstes eigenes Label: Zazi Vintage war geboren. „Ich hatte keine Ahnung, was ich genau vorhatte, aber mein Konzept im Kopf war eigentlich ganz simpel: Ich lasse Kleider in Indien produzieren, verkaufe sie in Deutschland und das Geld geht wieder zurück nach Indien, an die Näherinnen vor Ort.“ Egal ob Ikat-Seide aus Usbekistan oder recycelte Teppiche aus der Mongolei, die Materialen, die für die Kleider und Mäntel von Zazi Vintage benutzt werden, sind hochwertig, nachhaltig und freundlich zur Umwelt. Verarbeitet werden die Stoffe dann von mittlerweile dreißig Frauen in dem kleinen Dorf Bhikamkor in Rajasthan, wo die Frauenrechtsorganisation „IPHD“ (International Partnership for Human Development) den Ablauf und die Produktion der Kleidung koordiniert und die Frauen und Kinder vor Ort unterstützt. Eigentümerin und Frauenrechtlerin ist Madhu Vaishnav oder wie Jeanne sie liebevoll nennt: Mama Madhu. „Madhu ist meine zweite Mama. Meine indische Mama sozusagen. Ich habe noch nie eine so inspirierende Frau getroffen und es ist unglaublich toll mit ihr zusammen zu arbeiten und das Projekt durch die Mode meines Labels unterstützen zu können.“ So nähen die Frauen beispielsweise nur drei bis fünf Kleider im Monat, haben Zugang zur Bildung, normale Arbeitszeiten und das Gehalt ist so hoch, dass sie davon was zur Seite legen können. Jeanne und Madhu geht es vor allem darum, das Bewusstsein des Dorfes zu verändern, die Frauen zu stärken und ihnen neue Möglichkeiten aufzuzeigen. „Angenommen, Zazi Vintage macht von heute auf morgen pleite. Was machen die Frauen dann? Madhu und mir ist es wichtig, dass sie lernen aus sich selbst heraus etwas aufzubauen. Deswegen gibt es die Möglichkeit, dass sie sich durch das angesparte Geld selbstständig machen, einen Mikrokredit bekommen und größere Investitionen tätigen können. Dadurch entsteht die Chance, dass immer wieder neue Frauen zum Projekt dazukommen, weil andere bereits auf eigenen Beinen stehen.“ Aus der gemeinsamen Kooperation zwischen Zazi Vintageund der „IPHD“ ist mittlerweile auch eine Schule für Mädchen hervorgegangen, um der Benachteiligung gegenüber den Jungen entgegenzuwirken und ihnen den Zugang zu regelmäßiger Bildung zu ermöglichen. Für das Modelabel selbst plant die Designerin aus Den Haag schon eine Ausweitung nach Nepal und das Amazonas-Gebiet. „Ich möchte gerne neue Regionen und die Kleidungstradition dort, die Stoffe und Materialien kennenlernen, um wieder neue Brücken in andere Länder zu schlagen.“

Wenn Jeanne über all das spricht, sieht man ihr die Passion förmlich an. Neben mir sitzt eine sympathische, entschlossene Frau, die in kurzer Zeit ein Label ins Leben gerufen hat, was persönliche Freude an Vintage-Kleidung und das dringliche Bedürfnis, die immer noch prekären Verhältnisse des Modemarkts verändern zu wollen, vereint. Dabei geht es um mehr als nur schöne und faire Mode. Es geht darum sie nutzbar zu machen, indem sie zum Verbindungselement zwischen der eigenen und einer fremden Welt wird. „Mode ist für mich schon immer eine Form der Kommunikation gewesen. Eine Ausdrucksform wie eine zweite Haut.“, sagt Jeanne und fährt dabei mit den Händen über den roten Baumwollstoff ihres Kleides. Am Ende des Interviews bin ich beeindruckt von so viel Mut, Idealismus und Durchhaltevermögen. Ich lasse meinen Blick noch einmal an den Kleidern und Mänteln entlang wandern und für einen kurzen Moment fühle ich mich nach Indien zurückversetzt. Ich denke an den Minakshi-Tempel, als ein Sari prächtiger und bunter war als der Nächste und meine Augen nicht genug bekommen konnten von dem Farbenmeer. Bevor ich die wunderbare Welt von Zazi Vintage wieder verlasse und mich zurück in den grauen Alltag begebe, muss ich Jeanne noch eine letzte Frage stellen. Was bedeuten Farben für dich, frage ich sie. Da lehnt sie sich zurück, atmet einmal tief ein und sagt mit einem breiten Lächeln im Gesicht: „Farben bedeuten leben.“

https://www.zazi-vintage.com

https://www.facebook.com/zazivintage/

Der Sari 

Zwischen den Inderinnen und den Saris besteht eine „tiefe, identitätsstiftende Verbundenheit“, weshalb dieses außergewöhnliche Kleidungsstück noch immer im Zuge der Tradition einen wichtigen Stellenwert in Indien hat. Er repräsentiert eine Kultur, die sich designgeschichtlich mindestens tausend Jahre zurückverfolgen lässt und dabei ebenso mannigfaltig ist wie die Ausstattungen und Formen der jeweiligen Gewänder. Ein Sari, der in den verschiedenen Regionen Indiens unterschiedliche Namen wie lugda,dhoti, pata, seere, sadlooder kapadträgt, besteht aus einteiligen oder mehrteiligen Stoffbahnen, die in bestimmter Wickeltechnik um den Körper gebunden werden. Das Entscheidende hierbei ist, dass der Sari niemals durchstochen bzw. genäht, sondern lediglich durch die Art des Wickelns fixiert wird, um so den Anspruch von Rein- und Einfachheit zu bewahren. Die Farbenvielfalt der Saris, die uns heute als ein signifikantes Merkmal begegnet, ist allerdings eine recht junge Errungenschaft. Denn erst im späten 19. Jahrhundert wurden chemische Farbstoffe eingeführt. Davor wurden die Gewänder in ganz Indien komplett in weiß gefertigt, was nicht nur Kostengründen geschuldet war, sondern ebenfalls der Idee von Reinheit und Zurückhaltung Ausdruck verleihen sollte. So vielfältig wie Indien selbst ist, so vielfältig sind auch die Modelle der Saris, weshalb es ohnehin nicht die Definition des einen Saris gibt. Er variiert sowohl in den unterschiedlichen Bundesstaaten als auch im Bezug auf die Tragweise der jeweiligen Frauen. So ist der Sari durch seine Form und Struktur nicht nur regional different, sondern gibt durch die Art und Weise des Tragens auch Aufschluss auf den Charakter und die Haltung der Trägerin. Denn die Frauen können zusätzlich den Stoff ganz individuell binden, sodass der Sari auf dem Fahrrad ebenso praktisch ist wie bei der Betätigung von körperlicher Arbeit und gleichzeitig einen personalisierten Charakter bekommt. Damit ist er für Rta Kapur Chishti, Autorin und Wissenschaftlerin, das „einzigartigste und vielseitigste Kleid der Welt.“ Aber natürlich steht auch der Sari dem Wandel der Zeit gegenüber – industrielle Webereien und Spinnereien lösten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den handbedienten Webstuhl ab und verdrängten damit in vielen Orten die nun arbeitslosen Weber und die traditionelle Fertigkeit bzw. Herstellungsweise der ausgefallenen Gewänder. Aber auch die Globalisierung und der damit einhergehende Import von Billigware wie Chiffon und Seide aus China, erschwert mittlerweile sogar den großen Textilfabriken das Überleben. Außerdem orientieren sich die indischen Frauen stark an der westlichen Mode, wodurch der Sari als Alltagskleidung immer mehr in den Hintergrund rückt. Nur bei besonderen Anlässen wie beispielsweise der Hochzeit, wird der Sari nach wie vor getragen und bleibt so immer noch ein fester Bestandteil der indischen Mode und Kultur.

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